Sean King 04 - Bis zum letzten Atemzug
Arm. Jetzt war das Zeichen vollständig. Der Schmerz war furchtbar. Mit jeder Brandwunde wurde es nicht leichter, sondern schwerer. Und doch gab Quarry keinen Laut von sich, verzog nicht das Gesicht, weinte nicht einmal. Er starrte dabei nur das Bild von Tippi an.
Und er fühlte nichts. Genau wie sein kleines Mädchen nichts empfand. Nichts. Wegen ihnen.
Dann verließ er rasch das Zimmer. Es gab noch viel zu tun, bevor sie kamen. Ihm schoss bereits das Adrenalin durch die Venen.
In Georgetown ließ Jane den Hörer fallen und rannte aus der Damentoilette.
Die Uhr lief.
72.
S ean und Michelle hatten ihr Gepäck im SUV verladen und verabschiedeten sich von ihrem Vater und ihrem Bruder.
Michelle umarmte beide. »Ich werde bald anrufen, Dad. Und ich werde dich besuchen kommen. Wir können ...«
»Einander wieder kennenlernen?«
»Ja.«
Als sie zur Tür gingen, sagte Frank: »Oh, fast hätte ich es vergessen ... Vor ein paar Stunden ist ein Päckchen für Sean gekommen. Ich habe es im Wohnzimmer.«
Er ging und kam eine Minute später mit einem kleinen Karton zurück. Als Sean sah, wer ihn geschickt hatte, rief er: »Mein Zwei-Sterne-Kumpel hat noch etwas gefunden. Oh Freude! Noch mehr Deserteure.«
»Deserteure?«, fragte Bobby.
»Das hat mit einem Fall zu tun, an dem wir arbeiten«, erklärte Michelle.
Sie gingen zum SUV. »Ich gehe die Mappen durch, während du fährst, Sean. Das spart uns Zeit, und davon haben wir nicht viel.«
»Danke, Michelle«, sagte er erleichtert. »Das ist nett von dir.«
»Nett hat nichts damit zu tun. Dir wird nur übel, wenn du beim Fahren liest. Ich möchte nicht, dass du in meinen Wagen kotzt.«
Bobby lächelte. »Aaah, das ist meine kleine Schwester, wie sie leibt und lebt.«
Sie fuhren los und durch die Stadt zum Highway. Michelle öffnete den Karton und holte die erste Aktenmappe heraus.
»Es ist gut, dass dein Bruder hier wohnt«, bemerkte Sean. »So kann er deinem Dad Gesellschaft leisten.«
»Ich habe vor, ihm ebenfalls Gesellschaft zu leisten. Wenn ich bei der ganzen Sache etwas gelernt habe, dann ist es die Regel, dass man nichts als selbstverständlich hinnehmen darf. Wie gewonnen, so zerronnen.«
»Vor der Interstate halte ich noch auf einen Kaffee, okay?«, sagte Sean. »Offenbar hat es sich eingebürgert, dass wir unsere Reisen immer mitten in der Nacht beginnen.«
»Ich nehme einen doppelten.«
Sean holte den Kaffee, und sie fuhren nach Norden.
Michelle ging fünf weitere Aktenmappen durch und reckte sich dann.
»Möchtest du, dass ich mal lese?«, fragte Sean. »Ich kann die Kotze ja runterschlucken.«
»Nein, nein, fahr weiter. Aber wenn wir hier nichts finden, was dann?«
»Bete, dass wir etwas finden, denn es gibt kein ›was dann‹.«
Sean schaute auf die Uhr, zog sein Handy aus der Tasche und wählte eine Nummer.
»Wen rufst du an?«, fragte Michelle.
»Chuck Waters. Vielleicht hat er ja was gefunden, das er mit uns teilen will.«
»Mit uns teilen? Ja, klar doch.«
Der FBI-Agent hob nach dem zweiten Klingeln ab. Sean und er sprachen ein paar Minuten; dann stellte Sean sein Handy ab.
»Und? Was Neues?«, fragte Michelle.
»Jane hat einen Brief in das Postfach bekommen, und Waters hat ihn konfisziert.«
»Was stand drin?«
»Irgendetwas von zehn Millionen Dollar Lösegeld. Allerdings glaubt Waters, dass sie ihn verarscht und ihm einen falschen Brief untergejubelt hat.«
»Wie kommt er darauf?«
»Einige Dinge in diesem Brief passen nicht zu dem anderen Schrieb, der bei der Schüssel und dem Löffel gelegen hat. Die Schrift, zum Beispiel. Es wurde eine andere Schreibmaschine benutzt. Und der Poststempel sei falsch gewesen, sagt er.«
»Warum sollte sie den Brief denn austauschen?«
»Sie hat ein ureigenes Interesse an diesem Fall, Michelle. Nach dem zu urteilen, was Betack herausgefunden hat, betrifft diese Sache Jane persönlich. Sie wollte einfach nicht, dass jemand diesen Brief liest.«
»Du glaubst doch nicht, dass Willa ihr Kind ist, oder? Aber vielleicht hat sie ihrem Mann ja Hörner aufgesetzt, bevor er Präsident geworden ist. Dann ist sie schwanger geworden und hat das Kind ihrem Bruder und dessen Frau gegeben.«
»Das könnte man natürlich glauben, nur habe ich Jane Cox vor ungefähr zwölf Jahren gesehen, und sie war definitiv nicht schwanger.«
»Vor ungefähr zwölf Jahren?«
»Ich meine, ich habe sie in dieser Zeit immer wieder mal gesehen. Sie kann unmöglich die Mutter sein, es sei denn, sie haben beim Alter des
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