Sean King 04 - Bis zum letzten Atemzug
Kindes gelogen.«
Michelle schüttelte den Kopf und las weiter. Eine halbe Stunde später rief sie unvermittelt: »Dreh um!«
Sean hätte vor Schreck beinahe einen Unfall gebaut. »Was ist?«
»Dreh um!«
»Warum?«
»Wir müssen nach Süden.«
Sean setzte den Blinker und wechselte auf die rechte Spur. »Warum nach Süden?«
Michelle überflog die Akte, die sie in der Hand hielt, und sprach schnell: »Es gibt drei Deserteure mit derselben Adresse in Alabama, aber alle haben unterschiedliche Nachnamen. Kurt Stevens, Carlos Rivera und Daryl Quarry. Sie sollten sich auf ihrer Basis melden, um in den Irak verschifft zu werden, sind aber nie auf der Basis erschienen. Die Militärpolizei hat die Adresse überprüft - einen Ort namens Atlee, eine alte Plantage oder so etwas. Sie gehört dem Vater von einem der Männer, einem gewissen Sam Quarry, Vietnamveteran. Die MP hat keine Spur von den drei Männern gefunden.«
»Okay, das sind drei Deserteure aus einem der Staaten, auf die der FBI-Test hingedeutet hat. Schlüssig ist das aber nicht, Michelle.«
»Sie haben diesen Sam Quarry verhört, eine Ruth Ann Macon und ihren Sohn Gabriel. Und einen Kerl mit Namen Eugene.«
»Und?«
»Ein Hoch auf die Liebe des Militärs zum Detail. In dem Bericht steht, dass dieser Eugene sich den MPs gegenüber als Angehöriger der Coushatta identifiziert hat.«
Sean jagte quer über die Fahrbahn, ignorierte das Hupen der anderen Fahrer und nahm die nächste Ausfahrt. Zwei Minuten später waren sie unterwegs nach Alabama.
73.
E s gibt wohl keinen formaleren, durchgeplanteren Raum auf der Welt als das Oval Office. Wer immer Zutritt zu diesem Raum haben wollte - vom Premierminister irgendeines relativ unbedeutenden Staates bis zu einem Großspender für den Wahlkampf -, eine Genehmigung wurde manchmal erst nach Tagen oder gar Wochen interner Auseinandersetzungen erteilt. Eine einfache Einladung für Leute, die nicht regelmäßig mit dem Mieter des Oval Office zu tun hatten, musste regelrecht erkämpft werden. Bekam man dann endlich Zutritt, war die Behandlung, die man erhielt, bis ins Kleinste durchorganisiert: ein Händeschütteln, ein Schulterklopfen, ein signiertes Foto. Auch bei ernsthaften politischen Verhandlungen wurde nichts dem Zufall überlassen. Das Oval Office war keine Umgebung, die Spontaneität förderte. Besonders der Secret Service runzelte die Stirn ob allem Ungeplanten.
Es war schon spät, aber Dan Cox arbeitete noch ein paar dieser Besucher ab, bevor er am Morgen zur UN fahren würde, um dort eine Rede zu halten. Man hatte ihn darüber aufgeklärt, wer die Leute waren. Größtenteils handelte es sich um wichtige Unterstützer seines Wahlkampfs, die ihre Scheckbücher gezückt und andere reiche Leute dazu überredet hatten, das Gleiche zu tun.
Sie kamen einer nach dem anderen, und der Präsident schaltete auf Automatik. Hand schütteln, nicken, lächeln, Schulter klopfen, ein paar Worte sagen und das demütige »Danke« akzeptieren. Bei einigen Hochkarätern, auf die ihn sein Beraterstab eigens hingewiesen hatte, nahm er sogar den ein oder anderen Nationalschatz vom Schreibtisch und erklärte etwas dazu. Ein paar Glückliche erhielten gar ein kleines Erinnerungsstück. Und diese Glücklichen verließen das Oval Office in dem Glauben, sie hätten eine persönliche Verbindung zu dem Mann aufgebaut, indem sie irgendetwas Brillantes gesagt hatten, womit sie sich einen signierten Golfball oder einen Stift mit dem Präsidentensiegel verdient hatten, Dinge, die im Weißen Haus tonnenweise eingelagert waren.
Dieser sorgfältig geplante Prozess wurde brutal unterbrochen, als plötzlich die Tür zum Oval Office aufgestoßen wurde - keine leichte Aufgabe angesichts der Schwere dieser Tür.
Dan Cox hob den Blick und sah seine Frau dort stehen ... Nein, nicht »stehen«, sie schwankte auf ihren High Heels; ihr Blick war wirr und verschwommen, und ihr sonst so perfekt frisiertes Haar zerzaust. Direkt neben ihr standen zwei nervös dreinblickende Agenten des Secret Service. Ihr Problem war klar: Auch wenn die First Lady inoffiziell das Recht hatte, das Oval Office zu betreten, wann immer sie wollte, waren sie in diesem speziellen Fall unschlüssig gewesen, ob sie die Frau durchlassen oder zu Boden reißen sollten.
»Jane?«, sagte der erstaunte Präsident und ließ den Golfball fallen, den er gerade einem Baulöwen aus Ohio hatte geben wollen, der eine ganze Wagenladung Geld für den Wahlkampf gespendet hatte.
»Dan!«,
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