Sean King 04 - Bis zum letzten Atemzug
Falls Michelle ihn bemerkt hatte, sagte sie nichts. Stattdessen blickte sie stur nach vorn.
»Wann hast du die Frau kennengelernt?«, fragte sie.
»Als ich noch als Bodyguard gearbeitet habe. Wir sind in Verbindung geblieben. Eine nette Familie.«
»Hm«, machte Michelle und schaute weiter nach vorn.
»Warst du in letzter Zeit mal bei Horatio?«
Michelle verstärkte den Griff um den Kaffeebecher. »Warum bist du mir zu seiner Praxis gefolgt?«
»Weil ich wusste, was du vorhast.«
»Und was?«
»Du bist eingebrochen, um herauszufinden, was du ihm unter Hypnose erzählt hast.«
Michelle schwieg.
»Hast du es herausgefunden?«, hakte Sean nach.
»Es ist schon ziemlich spät, um jemanden zu Hause zu besuchen.«
»Weiche mir nicht aus, Michelle. Wir müssen darüber reden.«
»Du hast meine Frage nicht beantwortet«, sagte sie.
»Du meine auch nicht.«
»Sag schon: Warum fahren wir so spät zu diesem Haus?«
»Vielleicht geht es um einen Auftrag, den wir übernehmen sollen.«
»Deine nette Familie braucht einen Privatdetektiv?«
Sean nickte. »Und sie wollte nicht warten.«
Sie bogen von der kurvenreichen Landstraße in eine lange, von Bäumen gesäumte Auffahrt ein. Kurz darauf erschien eine Villa im Kolonialstil vor ihnen.
»Nicht übel«, bemerkte Michelle. »Dein Freund scheint ja ganz gut zurechtzukommen.«
»Regierungsaufträge. Offenbar gibt der Staat das Geld mit vollen Händen aus.«
»Da wäre ich nie drauf gekommen«, sagte Michelle. »Seltsam, das Haus ist dunkel. Hast du dich in der Uhrzeit geirrt?«
»Bestimmt nicht.« Sean hielt vor dem Haupteingang.
Michelle stellte den Kaffeebecher ab und zog ihre Pistole aus dem Gürtelholster. »Da hat eine Frau geschrien!«
»Warte.« Rasch legte Sean ihr eine Hand auf den Arm. Als Augenblicke später im Inneren des Hauses ein Krachen zu hören war, griff er ins Handschuhfach nach seiner eigenen Pistole. »Verdammt, du hast recht. Sehen wir nach, bevor wir die Cops rufen.«
»Geh du hintenrum, ich nehme die Vorderseite«, sagte Michelle.
Sean nickte, stieg aus und rannte zur Rückseite der Villa. Michelle ließ den Blick in die Runde schweifen. Es waren keine Fahrzeuge zu sehen. Sie huschte zum Vordereingang. Die Schreie und das Krachen waren inzwischen verstummt. Michelle hätte rufen und sich erkundigen können, ob alles in Ordnung sei, hätte damit aber Einbrecher gewarnt, die sich möglicherweise im Haus aufhielten.
Die Vordertür war abgeschlossen. Kaum hatte Michelle die Hand vom Türknauf genommen, krachte es. Die Kugel durchschlug das dicke Holz. Splitter wirbelten durch die Luft. Michelle spürte das Geschoss, als es an ihr vorbeizischte, bevor es in Seans Wagen einschlug.
Sie sprang von der Veranda, rollte sich ab und rannte los. Dabei riss sie das Handy aus der Tasche und wählte die 911. Sofort hob jemand ab. Sie wollte gerade etwas sagen, als das Garagentor aufflog und ein Geländewagen auf sie zuraste. Sie sprang zur Seite, schoss erst auf die Reifen, dann auf die Windschutzscheibe. Das Mobiltelefon flog ihr aus der Hand, als sie sich zu Boden warf und eine Böschung hinunterrollte. Sie landete in einem Haufen Laub und Dreck, sprang auf und blickte nach oben. Der Wagen hatte angehalten, der Beifahrer war ausgestiegen.
Michelle feuerte.
Die Kugel traf den Mann in die Brust, doch das Hartmantelgeschoss schaltete ihn nicht aus. Stattdessen taumelte er zurück, als seine kugelsichere Panzerung die Kugel auffing. Als er sicheren Stand gefunden hatte, hob er seine eigene Waffe.
Michelle warf sich hinter den dicken Stamm einer Eiche, ehe die MP5 des Mannes losratterte. Ein Dutzend Kugeln schlugen in den Baum und rissen die Rinde ab. Eichensplitter wirbelten durch die Luft.
Michelle konnte sich keinen Augenblick Pause erlauben, denn ein geübter Schütze brauchte nur Sekunden, um das Magazin einer Maschinenpistole zu wechseln. Sie sprang aus ihrer Deckung, beide Hände um den Griff der Waffe gelegt. Diesmal würde sie auf den Kopf des Mannes zielen.
Aber da war niemand mehr, auf den sie hätte zielen können.
Der Mann war verschwunden.
Vorsichtig stieg Michelle die Böschung hinauf, die Pistole im Anschlag. Doch als sie hörte, wie der Motor des Pick-ups ansprang, war es mit der Vorsicht vorbei. Sie kletterte weiter, so schnell sie konnte. Als sie die Auffahrt erreichte, war der Wagen bereits verschwunden.
Michelle rannte zu Seans Auto. Sie wollte dem Flüchtigen hinterher, sah dann aber Rauch unter der Motorhaube
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