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das Leiden des anderen auf reale Art
und Weise. Sie spüren zwar nicht zwangsläufig denselben Sinnesreiz, machen aber eine ähnliche affektive Erfahrung. Dies ist die neuronale Grundlage des Mitgefühls oder des Mitleids, also dass wir â wie es die einzelnen Wortteile bereits andeuten  â »mit dem anderen fühlen oder leiden«. Selbst wenn wir uns nicht besonders bemühen, ist unser Gehirn so eingerichtet, dass wir Empathie und Mitgefühl empfinden â zumindest für geliebte Menschen.
Der limbische Tango
Es besteht ein faszinierender Zusammenhang zwischen Selbstwahrnehmung und Empathie. Wenn Sie über eine gute Selbstwahrnehmung verfügen, wird höchstwahrscheinlich auch Ihr Einfühlungsvermögen stark ausgeprägt sein. Offenbar löst das Gehirn beide Aufgaben mit der gleichen Ausrüstung. Wie es scheint, haben beide Eigenschaften sehr viel mit einem als Inselrinde bezeichneten Gehirnareal zu tun. Die Inselrinde ist für das Erleben und Erkennen körperlicher Empfindungen zuständig. Ist sie bei einem Menschen besonders aktiv, kann er sich zum Beispiel seines Herzschlags bewusst werden. Wirklich interessant aber ist der wissenschaftliche Nachweis, dass Menschen mit aktiver Inselrinde meist auch über ein gutes Einfühlungsvermögen verfügen. 4
Wie ist das möglich? Die Arbeit des berühmten Psychologen John Gottman und seiner Mitarbeiter gibt einen aufschlussreichen Hinweis. Gottman ist bekannt für seine Pionierarbeit in den Bereichen Ehestabilität und Beziehungsanalyse. Sein Sachverstand ist legendär. Es heiÃt, er müsse ein Paar nur eine Viertelstunde bei einer Unterhaltung beobachten, um treffsicher vorhersagen zu können, ob die Ehe innerhalb der nächsten
zehn Jahre in Scheidung enden wird. Gottmans Forschungen bestehen zu einem groÃen Teil darin, dass er die Ehepartner in einen Raum setzt, beide an Geräte anschlieÃt, die ihre physiologischen Signale aufzeichnen, und sie dann dazu bringt, sich zu unterhalten (zum Beispiel über eine Angelegenheit, in der sie geteilter Meinung sind), während Videoaufzeichnungen gemacht werden. Später sehen sich die Ehepartner die Aufzeichnung getrennt voneinander an und bewerten, wie sie sich in den einzelnen Gesprächsphasen gefühlt haben. Diese Experimente liefern einen groÃen Datenschatz: Eine Videoaufzeichnung aller Unterhaltungen, die persönliche Einschätzung der Teilnehmer, wie sie sich im Laufe des Gesprächs gefühlt haben, sowie physiologische Angaben.
In einem bemerkenswerten Experiment zeigte Gottmans Mitarbeiter Robert Levenson einige dieser Videoaufnahmen einem dritten Probanden (den wir als »urteilende Person« bezeichnen werden) und bat um eine Einschätzung, wie sich einer der beiden Gesprächsteilnehmer in den einzelnen Phasen der aufgezeichneten Unterhaltung fühlte. 5 Mit diesem Experiment sollte das Einfühlungsvermögen der urteilenden Personen gemessen werden: Je genauer sie die Gefühle des Gesprächsteilnehmers einschätzen konnten, desto mehr Empathie demonstrierte sie. Der interessanteste Aspekt dieses Versuchs aber waren die ebenfalls aufgezeichneten physiologischen Signale der urteilenden Personen. Das Ergebnis: Je gröÃer die Ãbereinstimmung zwischen ihnen und der Zielperson, desto genauer konnten sie deren Gefühle bestimmen.
Empathie bedeutet mit anderen Worten, dass Sie den anderen physiologisch nachahmen. Auch Daniel Goleman bezeichnet dieses Phänomen als Nachahmung 6 oder »emotionalen Tango«. Es ist auch der Grund dafür, warum Empathie und Selbstwahrnehmung so eng miteinander verbunden sind: In beiden Fällen werden die gleichen Gehirnareale aktiv. Man
könnte sogar sagen, die Empathie sei auf die Selbstwahrnehmung angewiesen. Ist sie nur schwach ausgeprägt, gilt dies auch für unser Einfühlungsvermögen.
»Ach wirklich? Was bringt Sie auf die Idee, mein Mann wäre einfühlsam?«
Aus dieser Erkenntnis ergibt sich die wichtige Schlussfolgerung, dass Ãbungen zur Verbesserung der Selbstwahrnehmung auch das Einfühlungsvermögen fördern. Wenn Sie zum Beispiel die Aufmerksamkeit (etwa mit der in Kapitel vier beschriebenen Ãbung Bodyscan) auf Ihren Körper richten, stärken Sie damit die Inselrinde und verbessern sowohl die Selbstwahrnehmung als auch das Einfühlungsvermögen. Zwei zum Preis von einem!
Empathie ist nicht gleich
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