Sebastian
hast du es gesehen. Du weißt es.«
»Dass der Weltenfresser entkommen ist und frei durch die Landschaften zieht? Ja, das weiß ich.«
Der Schrecken in Koltaks Augen konnte nicht gespielt sein.
»Nein«, sagte Koltak. »Nicht der Weltenfresser. Sogar -« Er verstummte, bemüht, die Fassung wiederzugewinnen. »Der Rat der Zauberer ist sich bewusst, dass einige der dunklen Landschaften, die aus der Welt genommen wurden, seit einiger Zeit in anderen Landschaften … auftauchen …, dass eine dunkle Macht die Landschaften beeinflusst, damit diese Orte wieder Zugang zum Rest der Welt haben. Diese Macht muss aufgehalten werden, muss vernichtet werden. Das siehst du doch ein?«
»Das sehe ich ein.«
»Dann musst du mit mir in die Stadt der Zauberer kommen und zum Rat sprechen.«
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Über die Morde hier im Pfuhl kann ich dir alles erzählen, was ich weiß. Ich beschreibe dir alles, was ich in der Schule der Landschafferinnen gesehen habe. Aber ich gehe nicht in die Stadt der Zauberer.« Seine Stimme wurde schärfer, als Koltak begann, zu protestieren. »Für mich besteht kein Grund, dorthin zu gehen, aber ich habe allen Grund, zu bleiben. Ich habe mein Wort gegeben, den Pfuhl zu beschützen.«
»Dann beschütze ihn!« Koltak presste sich die Handballen an die Schläfen, als versuche er angestrengt, die richtigen Worte zu finden. »Begreifst du nicht, was ohne die Landschafferinnen mit Ephemera geschehen wird?«
»Die Landschaften werden verwundbar. Der Weltenfresser wird in der Lage sein, Veränderungen zu -«
»Du Narr! Es ist schlimmer als das.« Koltak ballte die Hände zu Fäusten und schlug sie auf den Tisch. »Ohne die Landschafferinnen gibt es nichts, das zwischen Ephemera und dem menschlichen Herzen steht. Die dunklen Landschaften werden den Wahnsinn nur noch verstärken. Stell es dir vor, Sebastian. Ein Baby weint, und im Brunnen der Familie steht auf einmal Salzwasser - untrinkbar. Zwei Mädchen, die sich als Rivalinnen betrachten, treffen vor einem Süßwarengeschäft aufeinander und streiten sich - und plötzlich brechen Felsbrocken aus der Straße, Wagen und Kutschen, die keinen Weg hindurch finden, bleiben stecken und möglicherweise werden sogar Menschen verletzt. Ephemera lässt Gefühle Gestalt annehmen. Das hat es schon immer getan. Die Landschafferinnen sind die Einzigen, die in der Lage sind, diesem Vorgang Grenzen zu setzen.«
Fassungslos lehnte Sebastian sich zurück. War es das, was Glorianna gemeint hatte, als sie sagte, er sei ein Anker? Dass seine Gefühle für den Pfuhl, seine Liebe zu diesem Ort, ihn im Gleichgewicht hielten? Aber nicht nur seine Gefühle, sondern ihre Gefühle ebenso. Glorianna Belladonnas Resonanz hallte durch den Pfuhl.
Aber irgendetwas von dem, was Koltak sagte, stimmte nicht ganz. Wenn der Anker des Pfuhls eine Person war, hätten dann andere Orte nicht ebenfalls einen solchen Anker haben müssen? Schließlich bestimmte die Signaturresonanz einer Landschafferin vielleicht die »Atmosphäre« ihrer eigenen Landschaften, aber sie konnte nicht überall zur gleichen Zeit sein.
Und warum spürte er auf einmal einen solchen Druck im Kopf, als stieße etwas von innen an seine Schädeldecke? Konnte der Wunsch nach Schnupfen ihn wirklich krank machen? Wenn das der Fall war, würde er sich von nun an nur noch gesunde Gedanken machen.
»Du glaubst, du seiest hier sicher«, sagte Koltak. »Und vielleicht bist du das auch eine Weile. Aber wie lange wird dieser Ort standhalten, wenn der Rest Ephemeras aus dem Gleichgewicht gerät? Der Aufruhr wird sich ausbreiten - und alle mit sich in den Untergang reißen.«
»Wie …« Sebastian goss sich noch Wein ein und stürzte ihn in einem Zug hinunter, in dem Versuch, sich die Kehle auszuspülen und in der Hoffnung, den Kopf frei zu bekommen. »Wie soll ich dir dabei helfen, diese Entwicklung aufzuhalten?«
»Wir versuchen, alle Landschafferinnen zu finden, die noch dort draußen sind und ihnen die Warnung zukommen zu lassen, möglichst nicht in die Schule zurückzukehren. Wir wussten, dass in der Schule etwas geschah, etwas Schreckliches, aber wir konnten nicht herausfinden, was es war. Alle Zauberer, die gegangen sind, um Nachforschungen anzustellen, sind nicht zurückgekehrt. Wir kämpfen blind, Sebastian. Einige der Brücken sind zerstört worden, und zu etlichen Landschaften haben wir keinen Zugang mehr. So sind wir nicht in der Lage, die Menschen, die vielleicht um ihr Überleben kämpfen,
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