Sebastian
sehr schätzte, auf den Boden geworfen und mit Füßen getreten wurde. Er lächelte, aber es war ein kränkliches, schmerzerfülltes Lächeln. »Sicher. Du bist genau wie ich.«
Selbst nach ein paar Stunden Schlaf fühlte sie sich müde bis auf die Knochen, aber Glorianna lächelte, als Nadia einen Teller mit süßen Brötchen auf den Tisch stellte und zwei Becher mit Kaffee füllte.
»Zimtbrötchen mit Zuckerguss«, sagte sie, als sie eines auf den kleinen Teller vor ihr legte. »Und dieses Mal muss ich mich nicht mit Lee um meinen Anteil streiten.«
»Wir müssen uns unterhalten.« Nadia stellte die Kaffeekanne auf eine geflochtene Unterlage und setzte sich an den Tisch.
Nicht auf ihren üblichen Platz, stellte Glorianna fest, sondern mit Blick auf die Fenster und die Hintertür - als müsste sie ein Auge darauf haben, ob jemand versuchte, sich ihrem Haus zu nähern.
»Das hast du gestern Abend bereits gesagt.« Aus diesem Grund war sie bei ihrer Mutter geblieben, nachdem sie ihr erzählt hatte, dass die Mauer im verbotenen Garten durchbrochen worden war.
Das leise Geschnatter aus dem Raum, der durch einen Vorhang von der Küche getrennt war, wurde lauter. Ein kleiner blau-weißer Vogel flog zur Tür, schlug seine Krallen in den Vorhang und schimpfte sie aus.
»Jetzt nicht, Sparky«, sagte Nadia streng.
Das Gezeter verwandelte sich in Zwitschern und schmeichelndes Pfeifen.
Glorianna lächelte. Nadia nicht.
Das beunruhigte sie.
»Es gibt ein paar Dinge, die ich dir erklären muss, solange ich noch kann«, sagte Nadia leise.
Glorianna zuckte zusammen. »Solange du noch kannst? Was soll das heißen?«
»Das heißt, dass ich nicht riskieren kann, dass Dinge, die in Erinnerung bleiben müssen, in Vergessenheit geraten, sollte mir etwas passieren.« Nadia schloss die Augen. »Meine Mutter starb, als ich noch sehr jung war. Ich bin bei meiner Großmutter aufgewachsen.« Sie hielt inne. Öffnete die Augen und starrte aus der mit einem Fliegengitter versehenen Hintertür hinaus. »Meiner Großtante, eigentlich. Meine richtige Großmutter war wie du, Glorianna. Und genau wie bei dir entschieden die Zauberer, sie sei eine Gefahr für Ephemera. Sie schlossen sie in ihrem Garten in der Schule ein und zogen mit ihrer Magie Grenzen um die Landschaften, zu denen sie Zugang hatte. Es war fast so, als hätte man sie lebendig begraben. Sie wussten nicht, dass sie ein Kind in sich trug, als sie das Urteil sprachen, dass die Macht, die ihr innewohnte, mit ihrem Tod kein Ende finden würde. Sie haben niemals herausgefunden, dass sie und ihre ältere Schwester, eine Erschafferin der Fünften Stufe, einen Ort entdeckt hatten, der in ihrer beider Landschaften existierte - ein Ort im Wald, an dem ein großer, gespaltener Stein stand. Den Ort der Träume nannten sie ihn. Keiner von beiden war in der Lage, die Grenze zu überschreiten, die sie trennte, so dass sie sich nie sehen oder miteinander sprechen konnten, aber im Spalt des Steines konnten sie einander Nachrichten oder einen Korb hinterlassen, den die andere später finden würde.
Eines Tages, als meine Großtante mit einem Korb voller Essen kam, stand an ihrem Treffpunkt bereits ein Korb. In diesem Korb lag meine Mutter. Und ein Zettel, auf dem stand, ›Liebe sie. Lehre sie. Und kehre nicht zurück.‹
Meine Großtante fand nie wieder eine Nachricht von ihrer Schwester. Also hat sie die Tochter ihrer Schwester als ihr eigenes Kind großgezogen, und dann hat sie mich aufgenommen. Und wie vor ihr ihre Mutter, erzählte sie ihrer Tochter - und später dann mir - von den Familiengeheimnissen, die besagen, was wir sind - und woher wir kamen.«
Nadia nahm einen großen Schluck kalten Kaffee. »Und jetzt muss ich dir von ihnen erzählen.«
»Du hast mir die Familiengeheimnisse bereits verraten«, sagte Glorianna und bedeckte die Hände ihrer Mutter mit ihren eigenen.
»Nicht dieses eine. Dieses eine ist der Grund für alle anderen Geheimnisse, welche die Frauen in unserer Familie - und die Frauen in anderen Familien wie der unseren - seit Generationen in ihren Herzen verborgen halten.« Nadias Augen füllten sich mit Tränen. »Ich habe die Geheimnisse und den Samen getragen, der im Blut unserer Familie fließt, aber diese Last wurde mir erspart. Du bist diejenige, die die Last tragen muss.«
»Was für eine Last? Ich verstehe dich nicht.«
Nadia drehte ihre Hände so, dass sie die ihrer Tochter umfassen konnte. »Was du bist, Glorianna, ist der Grund für alle
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