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Sebastian

Sebastian

Titel: Sebastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Bishop
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war. Sie ballte ihre freie Hand zur Faust und presste sie fest in den Schoß, um das Zittern zu verbergen. »Ich wollte nur die jungen Kätzchen sehen.« Nur, um eine Minute lang mit etwas zu kuscheln, das geliebt werden wollte. Blinzelnd versuchte sie die Tränen zurückzuhalten und flüsterte: »Mutter hat mir nicht geglaubt.«
    Ewan schnaubte. »Warum sollte sie? Wir hatten die Kätzchen am Tag vorher in einen Sack gesteckt und in den Teich geworfen.«
    Lynnea starrte ihn an, und die Angst, hinausgeworfen zu werden, mit der sie ihr ganzes Leben lang gelebt hatte, verwandelte sich plötzlich in eine klauenbewehrte Bestie. »Ihr habt die Kätzchen ertränkt? Aber es waren doch Babys!«
    »Sie waren nutzlos. Genau wie du.«
    Sie kauerte sich auf ihrem Teil des Sitzes zusammen und versuchte, nicht um die toten Kätzchen zu weinen, sich nicht zu fragen, ob sie vielleicht ein ähnliches Schicksal erwartete.
    Wäre es anders gekommen, wenn sie sich nicht gewehrt hätte, wenn sie nicht geschrien hätte, als Vater versucht hatte, sie in die Box zu stoßen und ihren Rock hochzuziehen? Wäre es anders gekommen, wenn Mutter den Schrei ignoriert hätte, anstatt in die Scheune zu kommen? Oder wenn sie, als Mutter sie zurück zum Haus gezerrt hatte, nicht damit herausgeplatzt wäre, was Vater über die alte Kuh gesagt hatte, die so ausgetrocknet wäre, dass von nun an sie ihm Milch geben müsse? Erst als sie den verletzten Blick in Mutters Augen gesehen hatte - Augen, in denen nur einen Moment später Eifersucht und Wut aufblitzten -, hatte sie verstanden, was Vater gemeint hatte, und da war es bereits zu spät gewesen.
    Aus diesem Grund fuhren Ewan und sie zur Schule der Landschafferinnen. Auf dem Hof war sie nicht länger willkommen. Vater hatte gewollt, dass sie sie ins Dorf  brachten und dort zurückließen, aber Mutter hatte ihn kalt und hart angesehen und gesagt, dass so die Versuchung zu greifbar wäre. Also hatte Vater widerwillig zugestimmt, Ewan frei zu geben, damit er sie zur Schule bringen konnte, von wo aus die Landschafferinnen sie in eine andere Landschaft Ephemeras schicken würden. In einem sehr wörtlichen Sinn würde sie aus dem Leben aller verschwinden, die sie gekannt hatte.
    Seit Sonnenaufgang waren sie unterwegs. Jetzt stand die Sonne bereits tief im Westen. Würden sie die Schule erreichen, bevor es ganz dunkel wurde? Oder würden sie sich für die Nacht nach einer Unterkunft umsehen müssen? Von den Dingen, die Ewan den ganzen Tag vor sich hin gemurmelt hatte, wusste sie, was Ewan gerne mit ihr anstellen würde. Was auch immer Vater und Ewan all die Jahre, die sie bei ihnen gewesen war, auf Distanz gehalten hatte, war jetzt zerbrochen. Aber den ganzen Tag über waren zu viele Leute auf den Straßen gewesen, und nun waren sie wahrscheinlich - hoffentlich - zu nahe an der Schule, als dass er seinen dunklen Vorsatz in die Tat umsetzen und so vielleicht die Dinge für ihn ändern würde.
    Ewan zog die Zügel hart an und brachte das müde Pferd neben einem Pfosten zum Stehen, in dessen Holz ein R eingeritzt war.
    »Das war’s«, sagte Ewan und drehte den Kopf, um sie anzusehen. »Steig ab.«
    »Was?« Lynnea sah sich um. Die Straße machte eine Kurve, und Bäume blockierten die Sicht. »Ist das die Schule?«
    Ewan schenkte ihr ein gemeines Lächeln. »Nein, aber weiter nehme ich dich nicht mit. Bin gestern ins Dorf gelaufen, als Vater und Mutter sich angeschrien haben. Vater hat gedacht, es sei eine Zweitagesreise zur Schule, aber ich hab mit ein paar Leuten gesprochen, und die haben mir von dieser Straße erzählt.«
    Ihr Herz schlug wild. »Das ist nicht der Weg zur Schule!«
    »Da ist eine Resonanzbrücke hinter der Kurve. Deswegen das R in dem Pfosten. Ich gehe in eine andere Landschaft, um ein bisschen Spaß zu haben. Du steigst hier aus. Ich habe zwei Tage frei, bevor Vater mich wieder zu Hause erwartet, und ich werde sie nicht für ein Stück Krähendreck wie dich verschwenden. Und ich werde nicht zulassen, dass der Dreck in dir beeinflusst, in welche Landschaft ich komme.« Er versetzte ihr einen harten Schubs, der sie beinahe vom Wagen stieß. »Steig ab.«
    »Aber …« Als er die Hand zur Faust ballte, kletterte sie hastig vom Wagen. »Wie soll ich die Schule finden?«
    Ewan nahm die Zügel auf. »Geh über die Brücke - und hoffe, dass du an einem Ort herauskommst, der besser ist, als du es verdienst. Los geht’s!«
    Fassungslos darüber, dass er getan hatte, was sie schon immer fürchtete -

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