Sebastian
Häschen umrannte, bevor er zum Stehen kam.
Sebastian hielt den Atem an. Lynnea und der Bullendämon sahen sich in die Augen.
Schließlich fragte Lynnea höflich: »Wie geht es Ihnen?«
Der Bullendämon dachte über die Frage nach. »Geht gut«, grollte er dann. Er verlagerte das Gewicht seines massigen Körpers von einem Fuß auf den anderen.
Sie starrten sich noch eine Weile an, bevor der Bullendämon, der Meinung, er hätte sein Talent für höfliches Geplauder jetzt genug beansprucht, seinen zottigen, gehörnten Kopf schüttelte und schwerfällig davonging.
»Hast du das gesehen?«, sagte Lynnea, als Sebastian ihr entgegeneilte und einen Arm um ihre Taille legte. Ihr Gesicht strahlte vor Aufregung. Sie drehte sich in seinem Arm um und legte ihm die Hände auf die Brust. »Ich habe mit …« Sie hielt inne. Runzelte die Stirn. »Mit was habe ich gerade gesprochen?«
»Mit einem Bullendämon.« Er spürte die Wärme ihrer Hände durch sein Hemd.
»Ein Bullendämon?« Wieder eine Pause. »Wie sehr ähneln sie Bullen?«
Wächter und Wahrer! Wenn sie nicht weitergingen, würde er etwas Dummes tun. Zum Beispiel sein Hemd aufreißen und sie anflehen, ihn zu berühren.
»Das weiß keiner außer ihren Frauen so genau«, sagte er und nahm ihre Hand, so dass er den Körperkontakt aufrechterhalten konnte, ohne ihr zu nahe zu sein.
Langsam liefen sie zurück zu Philos Restaurant. Mit einem Teller voller Knabbereien in der Hand winkte Teaser sie an einen Tisch und zeigte dann auf die Weinflasche, die dort auf sie wartete.
Sobald Sebastian Lynnea vorgestellt hatte, stellte Teaser den Teller auf den Tisch und sagte: »Die Musik ist heiß heute Nacht. Es macht dir doch nichts aus, wenn ich mir für den nächsten Tanz deine Dame ausleihe, oder?«
Sebastian zögerte einen Moment. »Wenn die Dame möchte, macht es mir nichts aus.«
Teaser schenkte Lynnea sein selbstbewusstes, jungenhaftes Lächeln, das schon so viele Frauen um den Verstand gebracht hatte. »Na komm«, sagte er und streckte ihr eine Hand entgegen. »Ich zeige dir, wie man im Pfuhl tanzt.«
»Oh, ich … -« Lynnea unterbrach sich selbst und blickte zu Sebastian, der sie nur anlächelte und mit den Lippen ein Wort formte. Löwin.
Teaser ergriff ihre Hand und führte sie in die Mitte der Straße. Als er begann, übertrieben die Hüften kreisen zu lassen, errötete sie, schüttelte den Kopf und trat einen Schritt zurück. Aber er sagte etwas, das sie vor Lachen prusten ließ, und einen Moment später bewegte sie sich ebenfalls zur Musik und ahmte Teasers Bewegungen nach.
Ahnte sie auch nur, wie unverhohlen aufreizend diese Bewegungen waren? War sie sich bewusst, wie viel männliche Aufmerksamkeit ihr zuteil wurde? Nein. Sie war mutig. Sie amüsierte sich. Genau vor seinen Augen erblühte sie zu einer sinnlichen Frau.
Und bei diesem Anblick litt er, wie er noch nie zuvor gelitten hatte.
Er goss sich ein Glas Wein ein, setzte sich auf einen Stuhl und ließ seinen Blick über die Hauptstraße schweifen. Teaser hatte recht. Die Musik war heiß, die Stimmung kochte über - und der Pfuhl sah aus, wie vor vielen Jahren, als er einen fünfzehnjährigen Jungen angezogen hatte, der vollkommen überwältigt gewesen war von den Lichtern und der Stimmung... und von dem Gefühl, dass ihn der Ort mit offenen Armen willkommen hieß.
»Du hast es mir nie gesagt«, wandte Sebastian sich an Philo, als dieser sich dem Tisch näherte.
»Was habe ich dir nie gesagt?«, fragte Philo.
»Jahrelang habe ich den Pfuhl einen Ort festlicher Sinnlichkeit genannt, aber bis heute Nacht habe ich nicht erkannt, dass er genau das ist. Ein Fest der Laster … und doch gibt es Grenzen.«
»Ich weiß nicht, was du meinst.«
Sebastian nahm einen Schluck Wein. »Doch, das tust du. Vor fünfzehn Jahren war ich unschuldiger, als ich dachte oder jemals zugegeben hätte, und dies ist die dunkle Landschaft, von der jeder heranwachsende Junge träumt. Feuer, Spaß und Leidenschaft. Es gibt auch die dunklere Seite. Natürlich gibt es sie.« Er blickte zu Philo auf. »Aber irgendwie ist es immer noch ein Fest.«
»Na und?«, erwiderte Philo mit ernstem Blick und ebenso ernster Stimme. »Dies hier ist eine dunkle Landschaft, aber es ist kein schlechter Ort. Ich habe schon an schlechten Orten gelebt, Sebastian. Genauso wie Mr Finch. Und all die anderen Menschen, die sich hier niedergelassen haben. Diesen Ort zu finden …« Er seufzte. »Also, nein, ich habe dem kleinen Jungen nicht erzählt,
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