Sebastian
Grenzlinien. Eine Welt voller Mauern, um die Freiheit zu erhalten. Hatten die ersten Erschafferinnen dieses Bild vor Augen gehabt, als sie Ephemera in Stücke schlugen? Hatten sie geplant, dass ihre Welt in Bruchstücken erhalten werden würde, oder hatten sie geglaubt, dass ihre Nachkommen in der Lage sein würden, die Einzelteile wieder zusammenzufügen?
Lege nie all deine Eier in den gleichen Korb, hatte Tante Nadia ihm einst gesagt. Damals hatte er die Bedeutung nicht verstanden, aber jetzt, als das Dämonenrad die Straße entlangflog, fragte er sich, ob es wirklich klug war, so viel von nur einem Ort aus zu kontrollieren.
Aber das war nicht seine Entscheidung. Natürlich hatte die Mehrheit der Bewohner Ephemeras keinen Einfluss in dieser Frage. Alles lag in den Händen der Landschafferinnen. Und vielleicht in denen der Zauberer, da sie entschieden, wann jemand zu unkontrollierbar geworden war und fortab in einer dunklen Landschaft leben musste.
Reise leichten Herzens, dachte Sebastian. Vor allem, wenn du diesen Ort betrittst.
»Da ist der Eingang«, sagte er mit lauter Stimme, um sicherzugehen, dass ihn der Dämon auch verstand.
Er bekam nur ein Knurren zur Antwort.
Es war nicht schwierig gewesen, den Dämon zu überreden, sie zur Schule zu bringen. Er hatte nur erwähnt, dass Lynnea sonst vielleicht weit laufen müsste.
Vielleicht hätten sie laufen sollen. Sie hatten zwei andere Landschaften durchqueren müssen, bevor sie eine Brücke fanden, die sie in den Teil Ephemeras bringen würde, der den Landschafferinnen gehörte. Wenn sie zu Fuß durch diese Landschaften gegangen wären, hätten sie dann einen Ort gefunden, der sie beide gleichermaßen gerufen hätte? Eine neue Heimat, ein neuer Anfang. Für ihn und Lynnea.
Aber der Pfuhl brauchte ihn, und jeder Tag, den er fort war, konnte die Landschaft für einen anderen Willen empfänglich werden lassen. Für einen dunklen Willen.
Sie verließen die Hauptstraße und fuhren durch den Eingang auf das Schulgelände. Der Dämon wurde langsamer, als er durch das verlassene Weideland schwebte.
»Wo sind die Tiere?«, fragte Lynnea und sah sich um.
»Vielleicht stehen sie über Nacht im Stall«, antwortete Sebastian. Aber etwas stimmte hier nicht. Die Stille lag zu schwer über dem Land, zu erwartungsvoll.
Sie hatten die Hälfte des Weges vom Eingang zu den Schulgebäuden hinter sich gebracht, als das Rad plötzlich anhielt und der Dämon begann, zurückzuweichen.
Sebastian stellte die Füße auf und stemmte die Absätze in den Boden. »Nein. Halt.«
Der Dämon knurrte und bewegte sich weiter zurück auf die Hauptstraße zu.
»Halt an!« Als der Dämon zitternd zum Stehen kam, berührte er Lynneas Hand, um ihr zu bedeuten, sie solle absteigen. »Tageslicht! Was ist denn los mit dir?«
»Sebastian?« Lynnea schlang die Arme um sich. »Wo sind die Menschen, die hier leben?«
»Wahrscheinlich in den Gebäuden. Es ist schon fast dunkel.« Aber aus irgendeinem Grund stellten sich seine Nackenhaare auf. Wahrscheinlich war das ganz normal, wenn jemand wie er diesen Ort betrat. Schließlich betrachteten die Landschafferinnen Dämonen nicht als eigenständige Persönlichkeiten. Tante Nadia und Glorianna waren mit ihrer Ansicht, dass auch Dämonen das Recht auf ihren eigenen kleinen Platz auf der Welt hatten, eine Ausnahme.
»Hier«, sagte er, »gib mir das.« Er nahm das Bündel, das Lynnea auf dem Rücken trug. Glorianna hatte auf dem Weg zum Cottage noch ein paar andere Sachen für die junge Frau gekauft. Die Hose, das Hemd und die leichte Jacke, die Lynnea jetzt trug, eigneten sich gut für eine Reise. Der Rest ihrer Kleidung befand sich in dem Bündel.
Ob sie den Catsuit behalten hatte?
Er legte sich einen Riemen über die Schulter, nahm dann Lynneas Hand und verschränkte seine Finger mit ihren. Er warf dem Dämonenrad einen strengen Blick zu und sagte: »Warte auf mich.«
Fühlte sich die Schule immer so an, als würde der Ort sich verschieben und ausdehnen, selbst wenn man ganz still stand?
»Mir gefällt dieser Ort nicht«, flüsterte Lynnea.
Ihm gefiel er auch nicht, und wenn er sich immer noch so unwohl fühlte, nachdem er mit einer der Landschafferinnen gesprochen hatte, würde er sich eine Ausrede einfallen lassen, sie beide von hier fortbringen. Dann würde er Lynnea mit zu Tante Nadia nehmen.
Das hätte ich von Anfang an tun sollen.
»Na komm«, sagte er und führte sie auf die Gebäude zu. »Lass uns jemanden finden, der weiß, wer
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