Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman
zwei taschen, gefütterte Jacke aus schwarzer »Teufelshaut«, einem strapazierfähigen Baumwollstoff, mit Innentasche.
Wir waren erst kurz vor dem Schlafengehen neu ausstaffiert. Im Vergleich zur bisherigen zusammengestoppelten Kleidung konnte man die neue wirklichals Uniform bezeichnen. Darin sahen wir mit unseren Schablonenponys aus wie gestanzte Erzeugnisse einer mächtigen Staatsmaschine. Nur die Jackenknöpfe störten. Die waren bei jedem anders.
Berijas Geschenk
Am nächsten Tag teilte uns Tante Mascha unter dem Siegel der Verschwiegenheit mit, dass tags darauf alle Zöglinge fotografiert würden. Themis baue im Saal unter dem Dzierżyński-Bild Gerüste auf und schraube starke Glühbirnen in die Lampen. Am Morgen des 24. April brüllte der Obererzieher und -aufseher durch den ganzen Fressschuppen, in einer Viertelstunde hätten wir zimmerweise in voller Uniform in der Aula zu erscheinen. Dort erblickten wir unter dem Bild des ziegenbärtigen Volkskommissars ein zusammengezimmertes zweistufiges Podest mit dem Thronsessel der Heimleiterin. Etwas tiefer standen Stühle. Zu beiden Seiten des Throns und dahinter war aus Bänken ein vierstufiges Gerüst errichtet. Dem Thron gegenüber stand ein großer Kasten auf drei Beinen, bedeckt mit einem schwarzen Tuch. Nicht alle wussten, dass es ein Fotoapparat war.
Geierauge verteilte uns auf die Bänke. Auf der obersten Bank standen die Alten, auf der untersten saßen die Krümel. Beim Fotografieren sollten alle mit erhobenem Kopf auf die Oberkante des Kastens schauen, die oberen Reihen in der Haltung »Stillgestanden«, die sitzenden Krümel mit den Händen auf den Knien. Geierauge übte über eine Stunde mit uns, um die geliebte Einheitlichkeitzu erreichen, setzte immer wieder welche um, weil die Größe nicht stimmte oder die Fressen nicht zusammenpassten. Er baute sich vor uns auf wie die Kröte vor ihrer Leinwand und bemühte sich, aus uns das ihm vorschwebende Monumentalgemälde zu gestalten. Als die Kröte mit ihrem Gefolge erschien, konnten wir uns kaum noch auf den Beinen halten.
Hinter dem Hofstaat trippelte ein komisches Männlein mit rötlich umrahmter Glatze, das Ähnlichkeit mit Lenin und zugleich mit dem Clown aus dem Zirkusbuch hatte. Bei seinem Erscheinen mussten wir alle lachen. Die Kröte dachte wohl, dass wir über sie lachten, und blieb stehen.
»Was ist das für eine Uuunverschääämtheit!«, zischte sie Geierauge an.
Der Aufseher lief dunkelrot an.
»Ruhe! Sofort aufhören! Stillgestanden!«, brüllte er und hieb sich merkwürdigerweise gegen die Hosennaht.
Wir verstummten, konnten aber den Blick nicht mehr von dem rötlichen Glatzkopf abwenden. Als das Männlein zu dem dreibeinigen Kasten lief, begriffen wir, dass es der Fotograf war. Er sprang auf einen Hocker mit verkürzten Beinen, steckte den Kopf unter das schwarze Tuch, hantierte eine Weile darunter herum, packte dann den Kasten, schulterte ihn und schleppte ihn weiter weg, bis zur Tür. Unterdessen ließ sich die Kröte mit ihrem Gefolge auf dem großen Podest unter dem Bild des Tscheka-Gründers nieder. Der glatzköpfige Fotograf kletterte wieder auf den Hocker, schlüpfte unter das Tuch und nahm die runde Kappe von der Glasscheibe des dicken Messingrohrs.
»Sehr gut, macht euch bereit«, sagte er mit schnarrendem Kehlkopf-R.
Das klang so komisch, dass wir uns wieder nicht beherrschen konnten und loslachten. Geierauge wurde fuchsteufelswild, sprang von seinem Stuhl neben der Kröte auf und lief zu dem Apparat.
»Was gibt’s da zu gackern, ihr unreifen Hühner!«, brüllte er. »Das Kommissariat macht euch ein Geschenk. Los, guckt hier auf meine Faust!«
Er hielt sie über den Kasten und bellte: »Bei dem Signal ›Feuer‹ bewegt ihr euch nicht mehr, verstanden? Fotograf, Achtung! Eins, zwei, drei, Feuer!«
Wir erstarrten. Der Glatzkopf drückte auf den Auslöser.
»Das wiederholen wir noch zweimal. Eins, zwei, drei, Feuer!«
Beim abschließenden »Sehr gut« lachten wir nicht. An den beiden folgenden Tagen knipste der drollige Fotograf jeden von uns einzeln. Ihm halfen fünfzehn- oder sechzehnjährige kraushaarige Bürschlein, der Haarfarbe nach zu urteilen seine Söhne. Die Einzelfotos gelangen der rothaarigen Familie bestens.
Das Gruppenfoto wurde vor dem Feiertag in der Aula ausgehängt. Es sah pompös aus, und alle liefen hin, um es anzusehen. Wir fanden uns darauf nur mit Mühe – zu gleichförmig gestriegelt sahen wir aus. Am besten waren die Natschalniks zu
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