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Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Titel: Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Kompott ohne Früchte, unsere größte Wonne. Zum Frühstück und Abendbrot gab’sebenfalls Brei. Morgens Perlgraupen, abends Hirse, oder umgekehrt. Selten Erbsen, die wir gerne spachtelten. Ab 1944 genossen wir sonntags manchmal Milchsuppe mit Makkaroni.
    An Feiertagen – 1. Mai, 7. November, 5. Dezember (Tag der Stalinschen Verfassung), und 21. Dezember (Stalins Geburtstag) – bekamen wir einen Riegel Brot mit Butter, statt Pudding wurde uns heiße Milch in die Tasse gegossen, und zum Abendessen lag in jedem Suppenlöffel ein Stück Zucker – himmlisch. Schlimm war, dass die Rationen so winzig waren und wir immer hungrig vom Tisch aufstanden.
    Wenn ein Krümel laut davon träumte, etwas Gutes zu essen, sagten wir Knirpse giftig: »Kleiner, möchtest du vielleicht Kaukau mit Sahne und ein Marzipanbrötchen?« Was Kakao war, wusste keiner von uns, und Marzipanbrötchen konnten wir uns überhaupt nicht vorstellen. Keine Ahnung, woher solche Phantasien kamen, noch dazu in der Hungerzeit. Wahrscheinlich hatte mal ein Erwachsener seine Wunschvorstellungen zum Besten gegeben, und wir hatten daraus eine Fopperei gemacht.
    Marzipan lernte ich fünfzig Jahre später in Paris kennen. Nichts Besonderes.
Über Speiseeis und Jepton, den Gott des Winters
    1944 lag der Sieg in der Luft. Unklare Hoffnungen auf ein besseres Leben erwachten. Sogar bei uns im Kinderheim! Im Herbst beschlossen wir bei einer unserer nächtlichenAmnestien, das neue Jahr 1945 mit Speiseeis zu begrüßen. Ja, ja, mit Eis, hergestellt von allen Knirpsen unseres Zimmers, und jeder musste etwas beisteuern. Eigentlich wusste keiner von uns, was das ist – Speiseeis. Die älteren Knirpse erinnerten sich dunkel an etwas Milchiges, Kaltes, Süßes und Sattmachendes, und wenn es satt machte, musste es Brot enthalten. Wir beschlossen, mit Winterbeginn alle Zutaten für unseren Traum zusammenzutragen. An den drei Feiertagen – 7. November, 5. und 21. Dezember – legten wir einen Zuckervorrat an. Brot aufzusparen war einfacher, mehrere Tage lang teilten wir fünf Riegel Brot zum Frühstück, Mittagessen und Abendbrot in sechs Portionen auf und legten einen Riegel ins Versteck. Mit der Milch war es schwieriger. Sie wurde am 21. Dezember zum Mittagessen ausgegeben. Bis zu diesem Tag stibitzten wir den Wächtern ein paar leere Wodkaflaschen, spülten sie aus und füllten sie dann unterm Tisch mit Milch, dem Hauptbestandteil unserer Neujahrsschleckerei. Weil wir Sahneeis haben wollten, brauchten wir dafür auch etwas Butter. Die gab es, ebenso wie Zucker, nur an den Feiertagen und wurde, damit die Zöglinge sich nicht gegenseitig bestahlen, gleich aufs Brot geschmiert. Wir schabten sie mit den Schneidezähnen an den Rand, zur Rinde, aßen die Brotkrume und nahmen die Rinde mit ins Zimmer.
    Die Milch und die Butter versteckten wir zwischen den Doppelrahmen des Fensters, das von der Tür am weitesten entfernt war. Ein Flügel ließ sich mitsamt den für den Winter aufgeklebten Papierstreifen öffnen. Niemand wäre darauf gekommen, dass hinter der Scheibe das Versteck von Großvater Jepton war. Väterchen Frostwar uns Knirpsen damals kein Begriff, aber über Großvater Jepton, den sibirischen Gott des Frostes, der die einen heilte und die anderen verkrüppelte, hatte uns Tante Mascha, unsere Lehrmeisterin in Sachen Leben, viel erzählt. In ihren Geschichten ernährte sich Gott Jepton nur von gefrorenen Lebensmitteln.
    In der Nacht vom 30. zum 31. Dezember waren in der letzten Amnestie des Jahres 1944 alle Knirpse mit der Zubereitung von Eis beschäftigt. Das in Würfel geschnittene Brot wurde in Milch eingeweicht, in zwei Schüsseln, die wir uns von Tante Mascha geliehen hatten. Dann wurde das durchweichte Brot rundum mit gestoßenem Zucker bestreut und sorgfältig auf schmale Bretter gelegt, die wir aus den Schubfachböden unserer Nachtschränkchen herausgelöst hatten. Die mit Brotwürfeln bestückten Brettchen legten wir zum Einfrieren zwischen die Fensterrahmen in Jeptons Kühlschrank. Nach zwanzig Minuten tränkten wir die gefrorenen Stückchen wieder mit Milch und bestreuten sie wieder mit Zucker, insgesamt drei-, viermal. Vor dem letzten Einfrieren bestrichen wir eine Seite des Würfels mit Butter – und fertig. Wir arbeiteten abwechselnd, denn wir froren – draußen wütete Jepton mit dreißig Grad minus. Das fertige Eis schütteten wir in einen Beutel, gemacht aus einem Turnhemd. Den versteckten wir bis zur Neujahrsnacht zwischen den Fensterscheiben und

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