Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman
von der Inneren Wachtruppe?«, fragte ich.
»Wie kommst du denn darauf?«, knurrte der Längere ärgerlich.
»Die laufen doch auch in solchen Mänteln rum und bewachen die Züge.«
Die beiden wechselten einen Blick.
»Aber vielleicht lebt ihr vom Fisch oder vom Wald?«, fragte ich weiter.
»Im Wald gibt’s kein Gehalt. Forsthüter sind wir, basta!«, antwortete der Lange. »Und ihr Lausejungs, wie kommt ihr hierher? Was macht ihr allein in dieser Gegend?«
»Wir müssen uns ne Weile verstecken, sind auf der Flucht. Auf dem Bahnhof war die Bahnmiliz hinter unsher. Und vorher waren wir eingesperrt und sind abgehauen.«
Ich erzählte ihnen alle unsere Abenteuer: wie wir im Zug eingesperrt und dann dem bösen Schaffner entwischt waren, wie uns auf dem Bahnhof die Offiziere vor der Miliz gerettet hatten, wie die Bahnbullen überall nach zwei vagabundierenden Bengels, einer davon blind, gesucht hatten. Darum seien wir hierhergelaufen, später, wenn die Gefahr vorüber sei, wollten wir mit einem Güterzug …
»Sieh einer an, gewiefte Bürschchen, alles bedacht.«
Der Schlitzäugige lief mit einem Kochgeschirr nach Wasser, dann nahm er mein Reisig aus der Feuergrube, schichtete rasch die Zweige neu, schlug mit Steinen Funken, setzte damit einen Zunder in Brand und blies die Flamme an.
»Interessant, so was hab ich noch nie gesehen«, sagte ich verwundert.
»Auf der Flucht, auf der Flucht«, murmelte der Schlitzäugige unentwegt vor sich hin, während er mit dem Feuer beschäftigt war. »Das gibt’s doch nicht, kleine Jungs auf der Flucht. Keine Bange, wir geben euch nicht an Miliz.« Er streichelte den Blinden. »Was hat er, von Schuss?«
Ich erzählte ihm Mitjas Geschichte.
»Das gibt’s doch gar nicht, so was Bestialisches!«
Der Schlitzäugige holte aus seinem geräumigen Rucksack ein Stück Presstee, wickelte es in einen Lappen und zerklopfte es zwischen zwei Steinen.
»Chinesisch Tee, von Kasach bekommen, trink und du wirst lustig! Ich bin ein Chante * , weißt du, was das für welche sind? Nein? Waldmenschen.«
»Du kannst ganz toll Feuer machen.«
»Soll ich’s dir lernen?«
»Ja.«
»Gut, wir trinken Tee, dann lernen, heute lernen, morgen auch. Tee kriegt zuerst der Blinde.«
Er streute zerstoßenen Tee in einen Becher, goss Kochwasser darüber, rührte mit einem Zweig um und gab ihn samt einem Stück Brot mit Speck meinem Freund.
»Trink, Mitja, chinesisch Tee ist gut. Was, bitter? Da soll dich doch … Tee bitter. Trink, gewöhn dich, Leben ist bitter, Tee schmeckt gut.«
Nach dem Tee begann der Unterricht in der Kunst des Feuermachens.
Ich will versuchen, mit meinen Worten die Lektionen wiederzugeben, die ich vor sechzig Jahren in dem an die Steppe grenzenden Wald unweit des Nördlichen Kasachstan erhielt.
Das Erste, was man wissen muss – das Feuer richtet sich nach der Sonne. Ein Baumstamm wächst von der Wurzel aufwärts zur Sonne. Auch das Feuer brennt besser von unten her. Wenn du einen Ast, einen Zweig oder ein Scheit in die Hand nimmst, schau genau, wie sie gewachsen sind. Das Zweite: Du musst nach Zündstoff suchen, um das Feuer anzumachen, besonders bei Schlechtwetter. Guter Zündstoff ist Birkenrinde. Geeignet sind auch dürre Nadelzweige, die finden sich immer unter den breiten unteren Ästen einer Tanne. Du machst daraus Kugeln, und fertig. Bei Regenwetter ist das wie Schießpulver fürs Feuer.
Welche Art Feuer man macht, hängt von den Umständen und dem Wetter ab. Am einfachsten und schnellstengeht das Chanten-Feuer, der Feuerturm, in Sibirien nennt man es Diebsfeuer, weil es ohne Rauch brennt. Das Wasser im Kochgeschirr darüber kocht in vier Minuten.
Bevor man den Turm baut, muss man den untergrund für das Feuer herrichten, aus dicken Zweigen, die nicht unbedingt trocken sein müssen. Darauf kommt der Turm, die Zweige immer zuerst mit dem unteren Teil, der Bewegung der Sonne folgend, dann werden die Flammen das Kochgeschirr umkreisen. Unten dicke Zweige, weiter oben immer dünnere. Ins Innere kommt der Zündstoff. Wenn der angebrannt ist, muss man nach und nach, im Winkel zueinander, kleine Zweige darauf schichten, bis das Feuer richtig brennt.
Die Waldmenschen können zum Erwärmen einer Laubhütte oder eines Zelts ein Feuer bauen, das nach dem Anzünden fünf bis sechs Stunden brennt, ohne dass man nachlegen muss, wobei feuchtes Holz sogar vorzuziehen ist. Für ein solches Feuer wird eine konusförmige Grube gegraben, darin stehen die Scheite im Kreis, die
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