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Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Titel: Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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uns, zwischen den Tischen zu arbeiten. Gegen Mittag lief ein Personenzug ein und spie hungrige Militärs auf den Bahnsteig. Das Biertrinken und Borstschessen begann.
    Ich nahm das Stalinknäuel aus der Jackentasche, strich den Draht glatt und wandte mich an die schon den Biergenuss vorauskostende männliche Menschheit.
    »Liebe Retter des Volkes, Genossen Soldaten und Offiziere, erlauben Sie uns, Ihnen für ein wenig Nahrung Lieder vom Genossen Stalin zu singen und ihn im Profil zu zeigen.«
    Mitja sang, den vom Bombensplitter entstellten Kopf erhoben, mit seiner hellen Stimme:

    Stalin führte uns zu Glück und Frieden –
    Unbeirrbar wie der Sonne Flug.
    Eben hatte ich angefangen, die Nase des Generalissimus zu biegen, da erschien plötzlich auf dem Bahnsteig die schwarze Uniform eines Bahnmilizionärs. Er zog sich die Schirmmütze mit dem rosa Deckel in die Stirn und kam direkt auf uns zu. Mitja sang:

    Langes Leben sei dir noch beschieden,
    Stalin, Freund, Genosse, treu und klug!
    Ich war jetzt beim Kinn des Führers. Der Polyp blieb zwischen den Tischen vor uns stehen und blies sich auf wie ein roter Luftballon.
    »Sofort aufhören!«, brüllte er. »Das ist nicht erlaubt, verstanden?«
    Die Militärs an den Tischen in seiner Nähe standen auf, auch ein Oberleutnant, dessen Gesicht nach einer erlittenen Kontusion zuckte.
    »Was?«, rief er. »Vom Führer zu singen ist nicht erlaubt? Aber nach … Paragraph achtundfünfzig * … du weißt wohl, was da erlaubt ist?«
    Und er starrte mit seinem einzigen Auge den Polypen wild an. Ein anderer Offizier, noch ranghöher, befahl der Etappenratte, sich auf der Stelle davonzumachen, bevor ein Unglück geschehe, was der Kerl auch sofort tat.
    Mitja und ich brachten unsern Auftritt vor der Armee zu Ende, doch wir wussten, dass wir gleich nach der Abfahrt des Zuges im Kittchen landen würden, darum mussten wir rechtzeitig vom Bahnsteig springen und quer über die Gleise zur anderen Seite rennen, um unserm Bullen zu entwischen.
    Am nächsten Morgen kamen zwei Dorfjungs, die wir schon kannten, zu uns in die Mühle gelaufen und meldeten, gestern habe uns die Miliz überall gesucht und sich sogar erkundigt, ob nicht jemand wisse, wo wir geblieben seien. Aha! Unsere Befürchtungen erwiesen sich als berechtigt. Wir mussten aus der Mühle verschwinden.Die Jungs baten wir, allen zu erzählen, sie hätten uns auf dem Trittbrett eines nach Osten abfahrenden Zugs gesehen.
    Wir packten unser Zeug und die Essvorräte ein und gingen in den Wald, um für ein paar Tage abzutauchen. Dann wollten wir bei Nacht zur Bahn zurückkehren, um mit dem nächsten leeren Güterzug nach Tscheljabinsk zu fahren.
Die Waldwölfe
    Auf einem zugewucherten Pfad, immer den Fluss entlang, kamen wir nach anderthalb Stunden auf eine von hohen Bäumen umstandene kleine Lichtung oberhalb des Flusses. Hier entdeckten wir eine Grube mit den Überresten eines Lagerfeuers. Der Platz gefiel uns, und wir beschlossen zu bleiben. Wir waren auch ziemlich müde. Mitja wühlte in der Asche und fand ein paar noch warme Kartoffeln. Das erschreckte uns nicht, bestimmt hatten sich Angler hier einen guten Tag gemacht. Etwas weiter weg, im Gebüsch, entdeckte ich eine solid gebaute Laubhütte. Sieh einer an, ein richtiges Biwak! Wir mochten nicht mehr weiter, hatten auch keine Kraft mehr. Es wurde schon Abend. Komme, was da wolle! Wir essen was und übernachten, und am Morgen entscheiden wir, wie es weitergeht. Schließlich gab es hier keine Barmalejs * , und gewiss keine Polypen.
    Mitja packte den Proviant aus und legte ihn auf ein Tuch, ich brach dürres Reisig und warf es in die Grube, um mit den letzten kostbaren Streichhölzern ein Feueranzuzünden. Doch kaum hatte ich mich hingekniet und vorgebeugt, um die Zweige in Brand zu setzen, da traten auf einmal vom Fluss her zwei große Kerle in langen Wettermänteln mit Kapuzen und in hohen Stiefeln aus den Büschen, einer mit Knüppel. Wir erstarrten vor Schreck und glotzten die beiden an. Wer waren die? Ranghohe Polypen, Stehldiebe oder Taigagespenster? Endlich nahm der eine, etwas Kleinere, schlitzäugig und breitgesichtig, das Wort.
    »Feuer mag nicht Unordnung«, sagte er mit einer Aussprache, wie ich sie nie gehört hatte. »Musst gut aufbauen und dann erst anzünden.«
    Nach diesen Worten witterten wir wie Hundewelpen, das waren nette Männer, wenn auch ungewöhnliche, aber sie würden uns nichts tun, wir brauchten uns nicht zu fürchten.
    Ich fasste mir ein Herz.
    »Seid ihr

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