Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman
aber ein Krüppel mit nur einem Arm und pfiffiger Miene bot mir einen Tausch an – für zwei Kartenspiele ein Häuflein Kartoffeln, ein Brot und eine Fischkonserve. Das war einbisschen wenig, aber ich musste darauf eingehen. Vor dem Laden schloss sich mir ein riesengroßer Hund namens Mamai an. Ein paar Männer, denen ich erzählte, dass man mich lange vor Jergatsch aus dem Zug geworfen hatte, boten mir mitleidig Hilfe an – in drei Tagen würden sie mit einem Wagen dorthin fahren, um was zu erledigen, und mich mitnehmen.
Mamai schmeckten die gebackenen Kartoffeln, die ich ihm zu fressen gab, und der vierbeinige »Mongole« blieb bei mir in der Laubhütte. An meinem letzten Tag am Fluss besiegelte der Hund unsere Freundschaft. Am Morgen weckte mich sein Knurren. Noch schlaftrunken, schob ich ein paar Zweige der Hütte auseinander und spähte durch die Lücke, da sah ich zwei Kerle unsere Frühstückskartoffeln aus der Feuergrube grabschen. Unsere Hütte stand etwas oberhalb hinter einem Busch, darum hatten die beiden sie nicht bemerkt. Ich gab Mamai einen Schubs und befahl ihm, die Strolche zu fassen. Der Riesenköter stürzte sich auf die Stehldiebe. Die rannten erschrocken zum Fluss. Als ich aus der Hütte kam, entdeckte ich am Wasser eine ganze Bande von Bettlern, die eingeschüchtert in meine Richtung guckten. Unser Lager befand sich offenbar am Weg dieser »Wanderschnorrer«. Ich nahm für alle Fälle meine Waffe aus der Jackentasche, das Katapult, und hielt mich bereit, einem von ihnen ein Auge auszuschießen, denn ich wusste noch aus Sibirien, was das für Gesindel war, Unmenschen, die nichts gelten ließen außer Gewalt. Aber ich brauchte die Waffe nicht. Mamai war schon unten, mit einem mächtigen Sprung riss er den Banditen, der in der Feuergrube gewühlt hatte, zu Boden und presste ihnmit seinen Pfoten in den Sand. Die Schar der bettelnden Vagabunden türmte und ließ ihren Kumpan im Stich.
Gegen Mittag kehrten wir in die Siedlung zurück. Ich durfte zu den Männern ins Auto steigen und bis Jergatsch mitfahren. Die Trennung von Mamai fiel mir schwer. In den drei Tagen waren wir gute Freunde geworden.
In Jergatsch mochte ich mich nicht mehr verstecken. Wenn es mit einem Zug klappte, konnte ich Molotow erreichen, wo ich freiwillig in ein Kinderheim gehen wollte. Wenn sie mich vorher erwischten, würden sie mich sowieso dorthin bringen. Bis Molotow war es nur noch eine Nacht mit dem Zug. Aber ich hatte Schwein. Ich fand heraus, dass die vielen Leute, die sich auf dem Bahnhof drängten, auf den »lustigen Fünfhunderter« warteten, einen Zug, der aus allen möglichen alten Waggons zusammengestellt war. Die meisten, die da mitfahren wollten, waren Petersburger Familien, die hierher evakuiert worden waren. Das war ich ja auch, also gesellte ich mich zu ihnen.
Als der Zug einlief, wurde er buchstäblich gestürmt. Ich Winzling wurde von der Menge eingeklemmt und mitgerissen in einen Waggon, der schon vor Jergatsch besetzt worden war. Die unglücklichen Menschen verstopften alle Durchgänge und Vorräume, erklommen die Dächer, erkämpften die Trittbretter. Die lange Zugschlange sah von weitem aus wie eine kriechende Raupe, an der sich Ameisen festgebissen hatten. Ich kletterte wie ein Äffchen hinauf zur dritten Pritsche, fand dort den Spalt unterm Rohr und zwängte mich zwischen Kisten, Körbe und Koffer. Dann band ich mich mit meinemRiemen an das Rohr, um nicht mit Gepäckstücken runtergerissen zu werden, und wurde still. Vor den ungewaschenen Waggonfenstern wurde es dunkel.
Am nächsten Tag erreichte der »lustige Fünfhunderter« die alte Stadt Perm, die damals Molotow hieß. Nach einer Woche wurde ich unter die Neuzugänge des Kinderheims aufgenommen und zur Erziehung zwei Holzköpfen überantwortet, Tylytsch und Grunz.
Das Dasein im Molotower Kinderheim werde ich nicht ausführlich beschreiben. Es unterschied sich kaum vom Leben in anderen staatlichen Häusern. Ich erzähle nur ein paar Episoden, die sich meinem Kopf und meinem Rücken eingeprägt haben.
Tylytsch und Grunz
Im Isolator bestand ich die Prüfung zum Dachs, nämlich das »Radfahren«, die »Nasskur« (nasses Bett) und den »Nackttest« (als plötzlich meine Kleider weg waren), mit Erfolg, das heißt, ohne Lärm zu schlagen und ohne mich zu beschweren, und rückte nach einer Woche bei meinen Kumpanen eine Stufe höher.
Einen freundlichen Empfang gab es nicht. Mich verhörte ein Kerl mit dem Spitznamen Tylytsch 6 , der provisorische
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