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Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Titel: Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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dem das Glas geschnitten wurde, rechts noch ein Tisch mit einem Petroleumbrennerzum Leimkochen und mit Blechen fürs Papierfärben. Eine flache Truhe an der rechten Wand wurde mein Schlafplatz. Meine Grundausbildung dauerte knapp zwei Wochen, danach vertraute mir der Meister schon an, mit Schablone die Blumen auf die Glasrahmen zu malen. Ende Juni durfte ich sogar die Konturen selber zeichnen.
    Um vor den Murmeltieren der Nachbarschaft Ruhe zu haben, gab mich der Chinese als Sjaskas Neffen aus, der aus dem Wologdaschen für die Ferien zu Besuch gekommen sei, um bei ihm das Handwerk zu lernen. Im Juli half ich dem Meister, das Haus eines wichtigen Mannes zu malern, des Marktleiters, der ein Tatare war. Da malte ich mit Ölfarben Blumen auf die Glastüren seines altertümlichen Geschirrschranks. Ende Juli, Anfang August half ich Onkel Siao (so hieß der Chinese), nach Schablonen ein Dutzend Kartenspiele zu fertigen. Es gelang bestens. Der Chinese hatte irgendwo festes Glanzpapier aufgetrieben, das damals kaum zu kriegen war. Ich musste bei ihm viel arbeiten, aber er behandelte mich gut. Tante Wassiljewna, wie ich sie nannte, gab mir satt zu essen. An den freien Tagen, die es praktisch kaum gab, kochte der Hausherr selber Reis; wo er den herhatte, wusste niemand, auch seine Frau nicht. Das Einzige, womit ich Probleme hatte, war, dass er mit den Hühnern aufstand und bei Sonnenuntergang schlafen ging. Ich musste mich ihm anpassen.
    Der Meister stammte von den Mandschuren ab, die der russische Zar Ende des 19. Jahrhunderts zu Tausenden für den Bau der Ostchinesischen Eisenbahn angeworben hatte. Einige von ihnen waren in Russland gebliebenund hatten sich nach Eröffnung der Strecke in den Weiten des Landes zerstreut. Tante Sjaska, Anastasia Wassiljewna, wurde von den Nachbarn in Ufalej »die ewige Chinesenfrau« genannt. Sie war zum zweiten Mal mit einem Chinesen verheiratet, der Erste war an einer Krankheit gestorben. Russische Frauen, die einen Chinesen ausprobiert hatten, kehrten niemals zu russischen Männern zurück.
    Ich habe in diesen dreieinhalb Monaten viel von ihm gelernt. Das Wichtigste, was ich mir mit seiner Hilfe aneignete, war das Zeichnen mit Schablone, das mich in meinem Leben oft ernährte, denn nun konnte ich Spielkarten »drucken« und verkaufen. Er lehrte mich, mit Anilinfarben Glas, Stoff oder Papier zu bemalen, mit tusche, Öl oder Lack zu konturieren, Ölfarben zu benutzen, einfaches Papier gleichmäßig zu färben, mit Pinseln zu arbeiten, mit Schwamm oder Lappen zu grundieren und vieles andere mehr.
    Mitte August kauften mir die beiden mit Hilfe des Marktleiters Tachir Adiljewitsch eine Fahrkarte für den Zug Tscheljabinsk – Molotow, doch nur bis zur Bahnstation Kaurowka; von dort musste ich zusehen, wie ich weiterkam nach Norden. Zum ersten Mal im Leben würde ich reisen wie ein feiner Herr, in einem Personenabteil, mit eigenem Sitzplatz. Für meine Arbeit als Gehilfe schenkte mir Tante Wassiljewna leckere kleine Piroggen, gefüllt mit Pilzen, Kohl und Buchweizen.
    Im Bahnhofssaal hing an der Stirnwand gegenüber dem Eingang ein Bildnis des Genossen Stalin, das große Ähnlichkeit hatte mit dem tatarischen Marktleiter, dem mein Lehrer und ich das Haus gemalert hatten. In meinemRucksack hatte ich außer den Piroggen sieben prachtvolle »Gebetbücher«, die ich in der »chinesischen Gefangenschaft« angefertigt hatte.
Molotow-Perm
    Kaurowka war ein Bahnknotenpunkt. Hier wechselte ich aus meinem Waggon in den Heizraum des Nachbarwagens, fuhr darin vier Haltepunkte weiter, dann weitere drei oder vier im Vorraum des zweiten Waggons mit lauter Arbeitern und schließlich wieder ein Stück im Heizraum, bis das Gebiet Perm erreicht war. Der Personenzug brachte mich noch ein paar Stationen weiter, weil ich buchstäblich auf dem Trittbrett mitfuhr. Aber zwei Haltepunkte vor Jergatsch jagte der Schaffner mich Schwarzfahrer endgültig davon. Ich fand mich in einer kleinen Siedlung wieder, die an einem Fluss gelegen war. Es war ein warmer August, und ich beschloss, für ein paar Tage hier Anker zu werfen. Eingedenk der Lehren des Chanten wollte ich in dem Wäldchen über dem Fluss eine Laubhütte errichten, eine Feuergrube schaufeln, Brennholz ranschaffen und vor allem was zu essen besorgen, indem ich eins oder zwei meiner Kartenspiele verscheuerte, der einzige Reichtum, den ich besaß. Zu diesem Zweck ging ich zu der wichtigsten Stelle, die es hier gab, dem Laden.
    Die Karten zu verkaufen gelang mir nicht,

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