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Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Titel: Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Kriminellen in hohem Ansehen.
Reingefallen
    Die Flucht aus dem Molotower Waisenhaus klappte erst im zweiten Jahr. Zunächst mit einem Güterzug. Aber der blieb irgendwo an der Grenze zu Udmurtien stehen. Es gelang mir, auf einen anfahrenden Personenzug nach Ishewsk aufzuspringen und mich im Heizraum zu verkriechen. Darin fuhr ich mehrere Stationen bis Tschepez. Hier erwischte mich eine Schaffnerin, eine Milize, als ich eben aus dem Heizraum kam, den sie verschlossen hatte. Das passierte gottlob, als der Zug an einem Bahnsteig hielt, und ich konnte unter ihren Händen durchwitschen und mit den aussteigenden Fahrgästen rauskommen. Nachdem ich mich durch eine Masse Menschen mit Säcken, Körben und Koffern bis zum Ende des Bahnsteigs gedrängt hatte, wähnte ich mich in Sicherheit, aber plötzlich packte mich jemand am Handgelenk. Ich fuhr herum und erblickte einen pockennarbigen Kerl unbestimmten Alters, nicht jung und nicht alt, der mich festhielt und sich zwei anderen zuwandte.
    »Kuckt mal«, sagte er, »dieser Hänfling passt durch jede Lüftungsklappe. Vor wem rennst du weg, du Stromer? Keine Bange, wir tun dir nichts. Aber wo hast du die Dalme 9 her?«
    In der Eile und dem Durcheinander meiner Fluchthatte ich vergessen, den Bahnschlüssel wegzustecken, und hielt ihn noch in der rechten Hand, die der Pockennarbige fest umklammerte.
    »Na los, gib her das Beweisstück, Kleiner.« Reingefallen, so ’n Mist, dachte ich, hatte aber keine Angst. Diese Männer sahen nicht aus wie Bullen in Zivil.
    »Wir müssen verduften, sonst schnappen uns noch die Bullen und legen uns allen die Brezel 10 an«, sagte der Älteste.
    Als wir ein tüchtiges Stück vom Bahnhof weg waren, sah der Pockennarbige mich an.
    »Machen wir uns bekannt«, sagte er. »Von wo bist du geflitzt, und wo willst du hin?«
    »Ich bin aus dem Tscheljabinsker Waisenhaus abgehauen und will zu meiner Matka nach Piter.«
    »Also, Stromer, häng dich an uns, bei unsrer Arbeit können wir ein flinkes Kerlchen wie dich gut gebrauchen.«
    So wurde ich, anfangs von der Diebsbande gehätschelt und später geknechtet, zum »Gummijungen«, der durch jede Ritze schlüpfen konnte und erst recht in den Hundekasten 11 hineinpasste. Ich schloss mich den drei Kerlen an, die jeder einen großen Rucksack trugen. Wir umgingen seitlich den Bahnhof, gelangten an einen Fluss und stapften am Ufer entlang bis zu einem zwischen Büschen versteckten Dörfchen, wo wir uns in einer soliden Bauernkate einrichteten, die alles hatte, was dazugehörte –russischer Ofen, Diele, Stube und rote Geranien. Uns empfing die gute Tante Wassilissa.
    »Wir haben Zuwachs, darf ich vorstellen? Auf dem Bahnhof haben wir diesen Pionier entdeckt, mit ner Dalme in der Hand, hier! Wir nehmen den Kleinen in die Familie auf und bringen ihm unsere Kunst bei.«
    So kam es, dass ich nach meinen mannigfachen Lehren notgedrungen die wohl gefährlichste Sparte des Diebsgewerbes erlernte – die des Eisenbahndiebs.
    Dreimal musste ich während meiner langwierigen Reise in die Heimat als Diebslehrling durch ein Zugfenster klettern. Dreimal hätten wutentbrannte Fahrgäste mich aus dem fahrenden Zug auf die Böschung werfen können, aber Gott war mir gnädig. Ich hatte ja kaum eine Chance, während meiner sechsjährigen Schwarzfahrerei von Sibirien nach Westen, noch dazu ohne Geld, dem Diebsgewerbe aus dem Weg zu gehen. Einzelheiten meiner Tätigkeit als Eisenbahndieb lasse ich jetzt weg, aber von meiner Ausbildung und den anfänglichen Leiden dabei will ich erzählen.
Die Diebsausbildung
    Unterrichtet, genauer, dressiert wie ein Hündchen, wurde ich von allen dreien. Der Chef der Bande, genannt Narbe oder Vater, war ein höchst schlauer und gewiefter Meister, der Zweite war der Permjake und der Dritte Antip. Als ich bei ihnen landete, machten sie wohl grade »Urlaub«. Acht bis zehn Stunden täglich richteten sie mich ab. Was stellten sie nicht alles mit mir an: In allerFrühe musste ich laufen, Kniebeugen und Liegestütze machen und viele Male die Embryohaltung einnehmen, und zwar von Tag zu Tag schneller, bis es buchstäblich nur noch eine Sekunde dauerte. Sie packten mich zu zweit an Händen und Füßen, holten schwingend aus und schleuderten mich von einer Anhöhe den Hang hinab. Während des Flugs sollte ich mich wie im Mutterleib zusammenkrümmen und dann wie eine Kugel durchs Gras nach unten rollen. Sie brachten mir bei, mich blitzschnell in eine Sprungfeder zu verwandeln, mich kraftvoll vom Trittbrett

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