Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman
verschiedene Stellen seines großen Körpers. Mit ihren schlitzäugigen Köpfen nickten sie dem nackten Tomas zu und verließen das Lager. Am Abend wurde der Este zum Leiter bestellt, der ihm über den Dolmetscher das Angebot machte, die Oberfläche seines ebenmäßigen Körpers der in Japan berühmten Tätowierschule zu überlassen, damit deren Schüler auf ihm ihre Prüfungstattoos gestalten konnten. Dafür werde ihn die Schule aus der Gefangenschaft freikaufen. Nach der – wie wir sagen – Verteidigung der Diplomarbeiten werde er frei sein und könne die japanischen Inseln verlassen. Tomas, noch jung und unerfahren, dachte, man werde ihm ein paar Tattoos verpassen ähnlich denen, die er bei russischen Soldaten gesehen hatte, und ließ sich auf den Handel ein. Er wollte so schnell wie möglich aus diesem martialischen Land verschwinden und in seine grüne estnische Heimat zurückkehren.
Schon am nächsten Tag wurde er in den Schulsaal gebracht, wo rund um einen niedrigen Tisch, der mit einer hellen Bastmatte bedeckt war, zahlreiche lächelnde junge Banzais saßen. Tomas musste sich ausziehen. Als er nackt war, juchzten all die Japanerlein, erhoben sich von ihren Bänken und applaudierten – vielleicht ihm,dem großen, weißhäutigen, breitschultrigen russischen Esten, vielleicht den beiden Beamten, die ihn aus der Gefangenschaft freigekauft hatten. Tomas wusste es nicht, aber ihm dämmerte, dass er in eine ernste Sache hineingeschlittert war.
Allmorgendlich wurde er unter Bewachung in den Saal gebracht, wo schon lauter gleichaussehende kleine Japaner auf ihren niedrigen Bänken saßen. Nach zehnminütigem Gezwitscher begann ihr Anführer, der Professor, mit dem Examen. Jeder Prüfling stach seine Komposition in die schöne weiße Haut des Esten. Interessant ist, dass Tomas während dieser Stecherei weder Schmerz noch sonstige Unannehmlichkeiten verspürte. Im Gegenteil, die sanfte Akupunktur war die reinste Wohltat, und er schlief sogar ein paarmal ein. Die Diplomanden arbeiteten äußerst sorgfältig, sauber, ohne überflüssige Bewegungen. Sie durchlöcherten die Haut nicht wie die russischen Tätowierer, sondern drehten die dünnen nadeln entsprechend der aufgetragenen Zeichnung ohne Eile in die Poren und brachten so die Tusche ein, natürliche Farben auf Alkoholbasis, da gab es keine infektionen. Sie beschädigten keine Gefäße, durchbohrten nicht die Kapillaren. Es war zu spüren, dass die künftigen Meister die Anatomie der Haut bestens kannten.
Die Zeit verging. Die japanischen Absolventen der tätowierschule hatten den estnischen Körper von Tomas in eine farbige Gravüre verwandelt, in ein Lehrexponat nach einem japanischen Epos, in eine phantastische Sehenswürdigkeit. Untätowiert waren nur der Kopf, der Hals, die Hände und die Füße geblieben. Nun entließensie ihn in die weite Welt. Alles wäre gut und schön gewesen, aber kaum hatte er das russische Pazifikgestade betreten, ein Dampfbad aufgesucht und sich entkleidet, da umringte ihn eine Menschenmenge, um das Wunder zu bestaunen. Allen musste er seinen buntbemalten Körper vorführen. Er wurde zum Wanderkino, wusste nicht aus noch ein, trug Hemden und Pullover mit hohem Kragen, wusch sich heimlich. Nach und nach gelangte er bis zum Ural, und hier blieb er für immer hängen. Nach Estland fuhr er nicht, aus Furcht, er würde dort bald in aller Munde sein, sein sonderbarer Ruhm würde sich bis in die entlegensten Dörfer verbreiten und seine alten Eltern in Schande bringen. In Molotow nahm eine barmherzige Permjakin * ihn auf, und so wurde aus dem Esten allmählich ein Murmeltier vom Ural. Alt geworden, etablierte er sich als Wäscheverwalter im Kinderheim, die Bengels konnten ihm nichts anhaben.
Nach dem »Kino« im Dampfbad wich ich ihm nicht mehr von der Seite, denn ich wollte zu gern die Tätowierkunst erlernen. Und das gelang mir. Er, der praktisch für das NKWD arbeitete, verdiente sich in den Diebsquartieren mit Tätowierungen ein Zubrot. Er stach nach der japanischen Methode – mit acht guten Nadeln – auf Wunsch der Diebe Unterweltmotive. Wenn ihn etwas ärgerte, fluchte er »japonamat«, ein Ausdruck, der in der russischen Sprache den verlorenen Russisch-Japanischen Krieg festhielt.
Er wurde mein Lehrer. Von ihm lernte ich das Stechen nach der japanischen Methode, wenngleich ein bisschen vereinfacht. Aber in manchen heiklen Situationen meines unsteten Lebens rettete mich das von ihm erworbeneHandwerk, denn es stand bei den
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