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Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Titel: Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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hatte, bei denen sie in brenzligen Situationen auch Unterschlupf fand. Die eine wurde Schiele-Matrjona genannt, die andere die Hastige Ganka und die dritte einfach Froska.
Die Arbeit
    Vor Beginn eines Einsatzes nahm einer der Diebe, Antip, der Unauffälligste, noch eine Erkundung vor, er ging durch die vorgemerkten Waggons und klärte, wo die fetteste Beute wartete, was für Leute da reisten, was für ein Schaffner da war und ob Polypen mitfuhren. Die Männer »entsiegelten« den für die Arbeit vorgesehenen Waggon, das heißt, sie schlossen alle Türen auf beiden Seiten auf. Dann betrat den Waggon als Erster der größte Könner, der Pachan, der ausgebuffteste Dieb. Nach dem, was er sah, entschied er, wie sie vorgehen würden. Geschickt, geräuschlos zog er die »Kartons« von der Gepäckablage und stellte sie in den Durchgang. Der zweite Mann ging vorbei, griff sich die Sachen und trug sie in den Vorraum am anderen Waggonende, weit weg vom Abteil des Schaffners. Der Chef nahm derweil schon die Schläfer im Nachbarabteil aus, und wenn dieses das letzteAbteil war, verließ der Dritte, der Schmieresteher, seinen Posten vor der Tür des Schaffners und schnappte sich im Vorbeigehen auch diese Ware. Alle Handlungen der Diebe waren genau aufeinander abgestimmt. Gegen Ende der Operation wand sich die Schlange des Zugs in eine Kurve oder schob sich bergan und verringerte das Tempo. Die Diebe rissen die Tür auf, warfen Koffer, Ballen und Säcke hinaus und sprangen dann selbst.
    In meinem späteren Beruf hatte ich manchmal Zirkusprogramme auszugestalten, und da musste ich oft an jene Diebe denken. Sie hätten durchaus in der Manege arbeiten können – als Zauberkünstler, Kraftakrobaten, Trampolinspringer, Äquilibristen und Seiltänzer, das wäre ihnen ein Leichtes gewesen. Damals reichten in den Personenwagen die hölzernen Trennwände zwischen den Abteilen nur bis zur dritten Pritsche hinauf, und den Raum darüber teilte ein Metallrohr. Ich als Diebsgehilfe kroch über die obersten Pritschen bis zu dem vorgesehenen Abteil, schlüpfte unter dem Rohr durch und schob den Koffer von dort hinunter. Der eben vorübergehende Dieb fing ihn auf, lautlos, mit beiden Armen, und verschwand mit ihm aus dem Waggon. Da kam der zweite, nahm mich auf die Schultern und machte mich zum »Greifkran«. Im nächsten Abteil zog ich, auf den Schultern des Kraftakrobaten sitzend, mit beiden Händen eine Reisetasche von der dritten Pritsche und ließ sie runterrutschen. Der zurückgekehrte erste Dieb fing sie im Fluge auf und trug sie weg. All das ging blitzschnell. Ohne die spezielle Ausbildung wäre das nicht möglich gewesen. Wie im Zirkus erforderten diese Handgriffe langwieriges Training und enormeKonzentration. Von außen betrachtet, konnte der Beruf des reisenden Eisenbahndiebs wohl sogar romantisch erscheinen, aber diese Art von Romantik war nichts für mich. Obendrein setzte mir Antip neuerdings mit unzüchtigen Zärtlichkeiten zu, darum löste ich mich vor Kirow in Luft auf, das heißt, ich verschwand. Nicht umsonst trug ich den Spitznamen Schatten. Es reichte, drei Monate hatten sie mich festgehalten. In Kirow lieferte ich mich dem Staat aus und wurde ins örtliche Kinderheim gesteckt.
Nach Norden
    Über das Kirower Waisenhaus kann ich nichts Besonderes berichten, weder Gutes noch Schlechtes. Ich habe es nur grau in grau in Erinnerung. Gegen Ende meines Aufenthalts dort, also im nächsten Sommer, freundete ich mich mit einem Jungen aus der Archangelsker Gegend an, der den Spitznamen Brubbel führte. Mit dem bin ich dann abgehauen. Den Spitznamen hatte er sich damit verdient, dass er beim Lernen vor sich hin brubbelte. Seine Vorfahren waren Holzflößer gewesen. Warum man sie zuerst nach Sibirien und dann in den Ural deportiert hatte, wusste Brubbel nicht. Sein Vater war in einem Strafbataillon vor Kursk gefallen. Der Mutter war erlaubt worden, mit ihren zwei Kleinkindern in die Heimat zurückzukehren, doch Brubbel hatte man aus unerfindlichen Gründen ins Kirower Kinderheim gesteckt. Seitdem träumte er jede Nacht vom Archangelsker Land. Er überredete mich, mit ihm nach Norden abzuhauen,in die Region Ustjansk, zu den Holzfällern, und von dort über Welsk und Wologda nach Piter weiterzureisen.
    Kurz und gut, mit Beginn der Wärme, Mitte Mai, flohen wir aus dem Kinderheim. Wir hatten uns ganz gut vorbereitet, hatten in zwei Verstecken Dörrbrot, Zucker und Salz gebunkert, und nun verpfiffen wir uns, verdufteten, machten uns dünn.
    Die

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