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Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Titel: Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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indem er die Stange mit Hilfe eines rituellen Hebels, eines in die Stange gesteckten Messers, das sich auf eine auf dem Brett liegende Axt stützte, ein wenig anhob. Hatte der Zauberer den Eindruck, dass das Bier noch nicht fertig sei, so fing das Ganze noch mal von vorn an, wieder eine Explosion im Bottich, und wieder schoss Dampf gen Himmel.
    Erst nach der dritten Probe wurde die Zauberei rund um den Bottich auf Weisung des Meisters beendet, und nun durften die dörflichen Teilhaber, die Maische beigesteuert hatten, zum »Allerheiligsten« treten. Sie stellten sich in einer Reihe bei der Abflussrinne auf, und jeder erhielt seinen Anteil entsprechend der Maischemenge, die er abgegeben hatte.
    Der oberste Brauer stand auf einem der Steine, hob und senkte mit seinem einfachen Hebel die Stange, und das sonnengelbe Getränk floss durch die Rinne in den Messeimer. Der Chef des Eimers, der einbeinige Invalide, segnete zum Abschied jeden, der sein Gefäß gefüllt hatte.
    »Trinkt Bier aus der Schüssel«, sagte er, »wischt euch den Rüssel, genießt in Ruhe.«
    Der Herr des Feuers, Iwanytsch, ein Krüppel des letzten deutschen Kriegs, nahm uns bei sich auf. Wir schliefen in seinem menschenleeren Haus auf Bänken an der Wand. Eine Familie hatte er nicht, die Frau war gestorben, die Söhne waren einundvierzig vor Moskau gefallen.Am nächsten Morgen schenkte er uns zu Ehren des Festtags ein Glas von dem Zauberbier ein und empfahl, langsam zu trinken.
    »Es ist stark, für Männer, und ihr seid noch kleine Jungs.«
    Wir kosteten zum ersten Mal das Getränk, das seit urzeiten der Sonne geweiht ist. Ich habe in meinem späteren Leben nie wieder etwas Vergleichbares getrunken. Das heidnische Gebräu hatte außer dem gewohnten geschmack nach Malz, Hopfen und Wasser noch einen Beigeschmack – nach Eichenfass, Erbsen, Roggen, Steinen, Kräutern, der ganzen Natur der Region Ustjansk, der Nördlichen Schweiz, wie die Menschen hier ihr Land nannten.
Die Hauptstadt des Suffs
    Am Tag des Thronfests verließen wir Werchoputje und fuhren per Anhalter mit einem robusten Studebaker-LKW nach Bestoshewo. Im Dorf verschönte festlich herausgeputztes Volk die grünen Hänge mit trunkenem Treiben. Unser Fahrer stammte aus Schangaly. Er arbeitete für die Verwaltung der hiesigen Forstwirtschaft. Vom Bahnhof aus belieferte er die dem Amt unterstehenden Ustjansker Dörfer mit den notwendigsten Waren, Lebensmitteln und Medikamenten, und brachte ihnen auch die Post. Während der Fahrt hatte Brubbel ihn gefragt, ob er nichts von seiner Mutter Pelageja Wassiljewna Ustjanowa gehört habe, die vor anderthalb Jahren mit seinem Bruder und seiner Schwester in dieHeimat zurückgekehrt sei, nach Bestoshewo. Der Fahrer sagte, er habe vor einem halben Jahr von seinem Kollegen gehört, dass eine Frau mit Kindern aus der Verbannung nach Hause zurückgekehrt sei, nach Bestoshewo, doch in ihrem Haus, in dem sie geboren war, hatte sich der Dorfsowjet eingenistet. Was aus ihr geworden sei, wisse er nicht. Brubbel war ganz verstört. Um ihn von seinen düsteren Gedanken abzulenken, stellte ich unserm Schutzengel, dem Fahrer, eine Frage.
    »Wieso wird Bestoshewo eigentlich von den Leuten hier die Hauptstadt des Suffs genannt?«
    »Diese Bezeichnung ist uralt. Der Legende nach hatte das Dorf früher den Ruf, wild, räuberisch und versoffen zu sein. Da gab es für die Flößer ein ungeschriebenes Gesetz: Ein Mann muss entweder stehen oder liegen, sitzen darf er nicht, das gilt als Faulenzerei. Und die Hymne des Dorfes war ein Scherzliedchen:

    Wir saufen Wodka, saufen Rum,
    und morgen sammeln wir Almosen.
    Um Christi willen, gebt uns was,
    sonst klauen wir euch Hemd und Hosen.«
    Gegen Abend erreichten wir Bestoshewo, ein recht großes Dorf, malerisch in einer Flussschleife gelegen. Der nette Fahrer stoppte den Studebaker vor dem wichtigsten Platz, dem Laden. Der war geschlossen, doch in den Fenstern brannte noch Licht. Der Fahrer klopfte und nannte seinen Namen, da öffnete ihm eine freundliche, stämmige Frau, die Verkäuferin wohl. Nach ein paar Minuten kam er mit ihr heraus auf die Vortreppe und rief uns.»Michailowitsch, welcher von beiden ist Ustjanow?«, fragte sie.
    »Da, der größere.«
    »Mein Gott, wie groß er geworden ist, ich kenn ihn als so kleinen Kolenka.« Sie tippte sich unterhalb des Knies ans Bein. »Deine Mutter hat nicht warten können auf dich, sie ist weggezogen. Euer Haus hat die Macht beschlagnahmt. Da hatte sie mit den Kindern hier kein

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