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Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Titel: Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Weg zu dem versoffenen Dorf Bestoshewo liege der Weiler Werchoputje, dort werde in den nächsten Tagen das Thronfest gefeiert, die Leute dort besäßen einen Schatz, wunderbares Quellwasser, mit dem sie zum Fest auf alte Weise ein Bier brauten, wie es sonst in ganz Russland nirgends mehr gebraut werde.
    Mit einheimischen Kraftfahrern, den eigenen Füßen und ein bisschen Glück erreichten wir Werchoputje am Tag vor dem Dorffest. Der Flecken war wie ausgestorben, wir sahen nur ein paar Rotzgören, die uns erschrocken anglotzten.
    Auf unsere Frage, wo denn die Erwachsenen geblieben seien, blickten sie zur Viehkoppel und zum Wald und schwiegen lange. Erst nachdem Brubbel dem Größten von ihnen zusetzte, zog der den Finger aus der Nase und zeigte damit zum Wald.
    »Bier brauen sie auf der Wiese.«
    Toll, interessant! Auf der Wiese brauen sie Bier? Wir machten uns auf den Weg in die gewiesene Richtung, überquerten die Koppel und stiegen hinauf zu dem Wäldchen. Nachdem wir es hundert Meter weit durchquert hatten, rochen wir Rauch und hörten das Prasseln eines Feuers. Wir gingen dem Geruch nach und gelangtenauf eine große, beinahe runde, mit grünem Gras bewachsene Wiese.
    Das, was wir dort sahen, ist schwer zu schildern und schwer vorstellbar. Zuerst bekamen wir einen Schreck. Wir hatten das Gefühl, wir hätten aus unserer Zeit einen Schritt zurück getan in eine Legende, ein Märchen, auf einen verwunschenen Platz, auf dem sich eine rituelle Handlung vollzog, geleitet von Schamanen, von Priestern.
    In der Mitte des Zauberkreises, auf drei großen Steinen, die vor einem Jahrtausend von Magiern oder der Natur in die Erde eingesenkt worden waren, stand ein riesiger Eichenbottich, den wir anfangs für einen Kessel hielten. Daraus stieg Dampf in den grauverhangenen nördlichen Himmel. Zu den Steinen führten Laufbretter hinauf. An einer Ecke des Steinedreiecks, vielleicht acht Schritte entfernt, brannte ein mächtiges Feuer aus Birkenklötzen, rechts davon waren Knüppel aufgeschichtet, und links lagen auf einer Leinwand, zu einer Pyramide gehäuft, sorgfältig gewaschene ausgewählte Rundsteine. Auf der anderen Seite sahen wir einen Berg von Kränzen aus dürrem Erbsstroh und einen Stapel von Roggenstrohgarben mit Ährenbüscheln, zu Kreuzen gebunden.
    Auf dem Bottich lag ein von der Zeit grau gewordenes schmales Brett, in das seitlich ein halbrundes Loch geschnitten war für die Verschlussstange, die Stir genannt wurde; sie war das Herzstück, die Achse, ein gerader runder Stock mit spitzem unterem Ende. Sie führte genau in der Mitte durch den Bottich und verschloss die Abflussöffnung in dessen Boden.
    Nach dem, was wir auf der Wiese sahen, konnten wir uns vorstellen, wie das Bier in dem Holzbottich gekocht wurde – mit den Rundsteinen. Ja, mit den Steinen, ausgesuchten runden Steinen, die im Feuer bis zur Weißglut erhitzt wurden. Mit speziellen Greifzangen, die Holzgriffe hatten, wurden sie aus dem Feuer geholt und über die Laufbretter zu dem Bottich hinaufgetragen. An dem geheimnisvollen Vorgang waren vier Männer beteiligt. In etwa dreißig Schritt Entfernung, beinahe am Rand der Wiese, stand die von der heiligen Handlung ferngehaltene Bevölkerung des Dorfes, fast nur Frauen, mit Eimern, Kannen und Flaschen in den Händen. Das Ritual wurde geleitet von einem strengen bärtigen Greis um die Achtzig, bekleidet mit einer schmucken roten Russenbluse, um die ein geflochtener Seidengürtel geschlungen war. Der Alte sah in dieser Umgebung tatsächlich wie ein Priester oder Hexenmeister aus. Ihm gingen zwei kräftige junge Männer zur Hand. Um das Feuer kümmerte sich ein geschickter Invalide mit dem Spitznamen Holzbein.
    Zu Beginn der Handlung ließ der Alte einen Erbsstrohkranz und ein Roggenkreuz in den Bottich gleiten. Seine Helfer hatten derweil mit ihren Greifzangen weißglühende Steine aus dem Feuer geholt, sie stiegen von zwei Seiten her über die Bretter zum Bottich hinauf und senkten die Steine auf den untergetauchten Kranz und das Kreuz. Dampf schoss explosionsartig gen Himmel. Sobald der Dampf sich verflüchtigt hatte, ließ der Alte abermals Kranz und Kreuz in den Bottich gleiten, und die Burschen senkten weißglühende Steine darauf. Das wiederholte sich so lange, bis das werdende Bier zu kochenbegann. Der Alte arbeitete nun langsamer, achtete jedoch darauf, dass die Flüssigkeit am Kochen blieb. Anhand von Merkmalen, die nur er kannte, bestimmte er den Reifegrad des Getränks; er entnahm eine Probe,

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