Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman
ließen.
In Kotlas brachte uns der Techniker in einem Güterzug unter, indem er die aus Archangelsk stammenden Schaffner überredete, ihre Landsleute, nämlich uns, wenigstens bis Uwtjuga mitzunehmen. In der Nacht bremste der Zug vor Uwtjuga auf einem kleinen Haltepunkt, und uns wurde befohlen, schleunigst aus dem Waggon zu verschwinden; auf der nächsten Station sei dicke Luft – das NKWD filze die Züge, denn aus einem Lager seien Häftlinge getürmt. Wenn wir entdeckt würden, hätten wir Prügel zu erwarten.
»Ihr müsst anderthalb Kilometer zurück, da sind rechts ein paar Dörfer, dort könnt ihr abwarten.«
So kamen Brubbel und ich unverhofft in zwei Dörfer, die seit dem Krieg fast ausgestorben waren. Sie waren berühmt für ihre Greise: den uralten Lampi und die uralte Paraskewa.
Lampi
Das erste Dorf, in dem wir nur eine Nacht verbrachten, galt im Umland als absonderlich. Die Kolchosfelder wurden auf Weisung der Kreisbehörden an einem festgelegten Tag bestellt, die eigenen Gemüseschläge aber erst auf Empfehlung von Jewlampi, im Dorf Lampi genannt, einem Männlein, das schon seit langem seine alten Tage auf dem Ofen seiner Kate fristete.
Im Frühjahr vor der Aussaat zogen die Dörfler ihn vom Ofen, hüllten ihn in einen Schafspelz, trugen ihn auf die Vortreppe und setzten ihn auf die Bank.
»Na, Lampi«, fragten sie, »ist es für uns Zeit, zu säen oder noch nicht?«
Der Alte kramte aus dem angewärmten Pelz die rechte Hand hervor, befeuchtete den Zeigefinger mit Spucke und hielt ihn in den Wind. Eine oder zwei Minuten schwieg er, die Hand mit dem besabberten Finger erhoben. Das Dorf sah in Erwartung des Urteils wortlos zu.
»Noch nicht, meine Lieben, noch nicht. Wartet ab«, sagte er, senkte sein meteorologisches Gerät und zog es zurück in den Pelz. Sie trugen ihn wieder hinein und setzten ihn auf seinen Ofen.
Nach drei oder vier Tagen trugen sie ihn wieder hinaus auf die Vortreppe. Wieder befeuchtete er den Finger mit Spucke, wieder hielt er ihn in den Wind. Und plötzlich erklang in der erwartungsvollen Stille sein ersehntes Urteil.
»Es ist Zeit, ihr Lieben«, sagte er, »es ist Zeit. Jetzt säet.«
Und erst nach dieser allerhöchsten Genehmigung begannen die Dörfler auf ihren Gemüseschlägen zu säen und zu pflanzen. Auf den Kolchosfeldern ging die Hälfte der Aussaat zugrunde, weil die Samen erfroren waren, doch das später Gesäte auf den eigenen Böden gedieh und erbrachte dank dem örtlichen Barometer Lampi beste Ernten.
Paraskewa
Im zweiten Dörfchen fanden wir in der großen Kate der greisen Oma Paraskewa Unterschlupf. Von ihr erzählten die Dörfler: »Unsere Alte hat ne spitze Zunge, mit der spießt sie einen glatt auf. Wenn die losquackelt, legt ihr die Ohren an.« Davon konnten wir uns schon bei der ersten Begegnung auf ihrer Vortreppe überzeugen. Ganz plötzlich, ohne Gruß, sprach sie uns Bengels an, dabei deutete sie mit ihrem spitzen Kinn auf die rundum murmelnden Bächlein.
»Kuckt, der Frühling is da – Frosch sitzt auf Fröschin, Spatz auf Spätzin.«
Dann, noch auf der Vortreppe, ging es weiter. »Wenn was zu schleppen is oder zu verrücken, müsst ihr selber ran. Mein Rücken is krank, darum wollen die Beine nich mehr, können nich stehn, und wenn ich aufs Klo muss, kriech ich auf allen vieren, und den Samowar füll ich mit der Kelle.«
Dann, schon in der Kate, fragte sie, woher wir kämen und wohin wir gingen. Als wir ihr sagten, wir wollten in das Dorf Bestoshewo im Kreis Ustjansk, da beschimpfte sie die dortigen Flößer als schamlose Trunkenbolde.
»Die dort ernähren sich nich von der Erde, nein, vom Wald, den fällen sie, hauen Flöße zusammen und fahren damit die Ustja runter zur Eisenbahn. Mich hat man vor Urzeiten dorthin verheiraten wollen, aber gottlob is nichts draus geworden. Die haben da nich mal einen Kolchos, bloß irgend so ne Holzwirtschaft. Neben der Flößerei tun sie da, verzeih mir’s Gott, die Kiefern melken wie die Waldschrate, sie sammeln das Harz, richtige Wildesind das. Als ich gesehen hab, wie sie die Kiefern quälen, hab ich meinen Bräutigam verprügelt und bin weg. Nur eines machen sie gut, sie brauen ein gutes Bier, wenn auch mit Hilfe des Bösen.«
Aus der Diele führte sie uns in den Anbau, da standen zwei leere Metallbetten. Sie gab uns zwei leinene Matratzenbezüge, hieß uns, sie mit Heu aus der Scheune zu stopfen und dann zu ihr in die Kate zu kommen, Tee trinken.
In der Kate war außer uns noch ein winziger Knirps,
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