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Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Titel: Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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junge Frau, eine Fahrkarte bis zur Station Jawenga für mich zu kaufen. Ich bezahlte mit dem Kleingeld der Postfrauen und dem Erlös meiner Spielkarten, die ich an irgendwelche Gauner verscheuert hatte.
    Mein Sitzplatz im Waggon war besetzt. Die Fahrkarten waren doppelt verkauft worden, das betraf noch ein Dutzend Leute in diesem Waggon. Mir, dem Kleinen, wurde bedeutet, hier nicht zu maulen, sondern mich mäuschenstill auf einen Sack zu setzen, was ich auch tat.
    Vor Jerzewo verzog ich mich für alle Fälle in den Nachbarwaggon und stieg mit den anderen Fahrgästen aus. Kurz vor der Weiterfahrt des Zugs kehrte ich in meinen alten Waggon zurück. Da ich harmlos und mickrig aussah, erregte ich keine Aufmerksamkeit und kam durch, wo andere aufgehalten wurden. Vor Jawenga stellte ich mich schlafend und fuhr zwei Stationen weiter, als meine Fahrkarte gültig war. Aber in Woshega warf mich ein Schaffner aus dem Zug und empfahl mir, die sechzehn Kilometer zurückzulaufen. Danke für den Rat, aber ich befand mich schon im Gebiet Wologda.
Die Wologdaer Bahndiebe
    Bei dieser von Tannen und Kiefern umgebenen Station wollte ich ein paar Tage ausruhen. Unweit von Woshega floss ein gleichnamiges Flüsschen, dort baute ich mir aus Tannenzweigen eine Jaranga, wie ich es von demChanten gelernt hatte. Gerade wollte ich Brennholz für ein Feuerchen sammeln, da hörte ich Schritte knacken. Gleich darauf bauten sich zwei kräftige Kerle vor mir auf.
    »Was machst du denn hier, Piepel?«
    »Na was schon, ein Nest hab ich mir gebaut, siehst du das nicht? Ich will hier pennen nach der Reise. Und ihr, ihr dürft wohl nicht in die Städte?«
    »Hast du denn keine Angst vor dem Bären?«
    »Dem bin ich schnuppe, besonders im Sommer. Ich lass ihn in Ruhe, da tut er mir auch nichts. Menschen sind manchmal schlimmer als der Bär.«
    »Von wo bist du getürmt, und wo willst du hin?«
    »Von weit nach weit – von Sibirien nach Piter, nach Leningrad.«
    »Na sieh mal an! Und wie hat’s dich in den Norden verschlagen?«
    »Das war Zufall. Ein Kumpel hat mich in die Archangelsker Gegend gelockt, weil da seine Mama wohnt, mich wollte er auch unterbringen, aber die Natschalniks haben seiner Mama das Haus weggenommen, und sie musste mit den Kindern zur Oma in den Kreis Nikolsk, um da unterzukommen, und ich will nach Piter, um meine Matka wiederzufinden, wenn ich Glück hab.«
    »Du bist ja ein gewieftes Bürschchen, wie ich seh, mit Grips«, sagte der Ältere. »Hübsche Hütte hast du dir gebaut. Bist du schon lange unterwegs?«
    »Vier Jahre …«
    »Und immer mit der Bahn, mit der schienenschaukel, was?«
    »Ja, mit der Bahn im Sommer, über Winter geh ichimmer freiwillig ins Kinderheim und besuch die Schule. Aber wieso fragt ihr mich aus wie verkleidete Bullen?«
    »Vorsicht, Junge, reiß das Maul nicht so weit auf, wenn du mit gestandenen Dieben redest, sonst verdreschen wir dich mit Tannenzweigen. Hast du auf deinen Fahrten schon mal mit Bahndieben zu tun gehabt?«
    »Ja, im Gebiet Swerdlowsk, mit berühmten Zugräubern. Geschickte Kerle waren das, haben in zwei Gebieten gearbeitet. Ich bin sogar eine Zeitlang bei ihnen in die Lehre gegangen. Aber das ist nichts für mich. Wenn ihr wollt, kann ich euch Stalin auf die Brust stechen oder Kartenspiele zeichnen.«
    »Was du nicht alles kannst! Also, du willst doch nach Leningrad?«
    »Na klar, will ich.«
    »Wenn du uns hilfst, wirst du bald in deinem Piter sein. Wir brauchen einen, der Schmiere steht, und du taugst dafür. Ohne einen Dritten ist es schwierig.«
    Kurz, sie überredeten mich, lockten mich noch einmal in das gefährliche Spiel, dem ich nur mit knapper Not entkam. Aber sie wurden aus dem Verkehr gezogen, ich fürchte, für immer.
    »Und wo kommt ihr beide her?« fragte ich. »Wir haben seine Mutter besucht und sind auf dich gestoßen«, antwortete der Ältere. »Morgen Abend geht der Postzug nach deinem Piter, in die Glatzkopfstadt, also pack dein Zeug. Wir treffen uns und bringen die Fahrkarte nach Wologda mit. Halt dich bereit, Piepel.«
    Am nächsten Tag trafen wir uns wie verabredet an der Bahnstation beim Lagerschuppen. Der Jüngere brachte ein Geschenk von seiner Mutter mit – drei in ein Leinentuchgewickelte runde Quarktaschen aus Roggenmehl, die in dieser Gegend Schanga hießen. Nachdem wir die Leckerbissen verspeist hatten, wurde ich in die Sache eingewiesen.
    Ich sollte mit meiner Fahrkarte einsteigen und auf meinem Platz ungefähr eine Stunde lang »wachsam dösen«. Nach

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