Sechs Österreicher unter den ersten fünf: Roman einer Entpiefkenisierung (German Edition)
ein. Die alte Zeitung, mit der ich das Feuer anfachte, trug die Überschrift 10 Jahre Córdoba . Es war der Sportteil des Kurier . Hans Krankl erzählte in einem Interview, wie er vor zehn Jahren das 3 : 2 erlebt hatte und dass sie sich alle gefreut hätten, weil man die Deutschen heimgeschickt habe. Das Spiel in Córdoba war am 21. Juni 1978 gewesen. Der Kurier , den ich in Händen hielt, war vom August 1988. Mir wurde klar, dass dieses 3:2 gegen Deutschland eine ungewöhnlich große Bedeutung haben musste, wenn noch zwei Monate nach dem Jubiläum darüber geschrieben wurde. Ich las den Artikel gründlich durch, weil mir dieses Spiel nicht geläufig war.
Das Holz roch gut, wärmte aber nur den Raum, in dem der Ofen stand. Das Bad und mein Schlafzimmer nicht.
Ich setzte mich in einem Pullover vor den Ofen und lehnte meine Schuhe gegen die Ofentür. Um die Kälte auch akustisch zu vertreiben, schaltete ich das Radio ein, zu dem ich seit heute eine ganz neue Beziehung hatte. Das Radio klang jetzt kollegial. Eine deutsche Schauspielerin wurde interviewt: Julia von Sell, die zusammen mit Claus Peymann aus Bochum ans Burgtheater gewechselt war. Der Moderator klang wie der Hagere mit dem schlecht sitzenden Sakko.
»Sie sind sicher sehr froh, jetzt an der Burg zu spielen?«, fragte er rhetorisch.
»Ja, natürlich«, antwortete die Schauspielerin.
»Und können Sie sich vorstellen, irgendwann wieder in Bochum zu spielen?« Er lachte. »Sicher nicht, oder?«
»Doch«, sagte sie.
Der Kulturredakteur klang erstaunt. »Wie das? Wenn man an der Burg spielt, in Wien – ich denke mir, da ist der Ruhrpott ja nicht sehr attraktiv.«
»Sehen Sie, in Bochum fragen dich die Leute: ›Willst du ein Butterbrot? Ja oder nein?‹ Und man sagt ja oder nein. In Wien weiß man nie, was die Frage bedeuten soll!«
Das war keine sehr diplomatische Antwort, und man spürte förmlich die Wut im Gesicht des Hageren aufsteigen. Qualm drang ihm aus den Ohren und aus dem Radio.
Ich schreckte hoch – der ekelhafte Geruch war echt. Er stammte von den Gummisohlen meiner Schuhe, die an der heißen Ofentür geschmolzen waren. Jetzt war das Profil total schief. Ich versuchte in der Wohnung herumzugehen und bewegte mich wie ein Kriegsversehrter. Mein rechtes Bein war mit Schuh zwei Zentimeter länger als mein linkes.
Auch wenn es nun in der ganzen Wohnung stank, war es immer noch saukalt, außer direkt vor dem Ofen. Da konnte ich genauso gut draußen herumwandern. Aber mit zwei verschieden langen Beinen? Ich beschloss, den anderen Schuh so schmelzen zu lassen, dass ich wieder gerade gehen konnte, als es an der Tür läutete. Ich erwartete die Brustamputierte, aber es war Robert. Sein Mantel war voller Schnee und sein Haar auch. Ich war überrascht.
»Woher weißt du, wo ich wohne?«, fragte ich.
In der Hand hielt er meinen Meldezettel. »Den hast du im Bett meiner Freundin vergessen. Wenn du im Bett der Frau eines anderen Mannes liegst, sei niemals so deppert und hinterlass deinen Meldezettel!« Er klopfte sich den Schnee ab und ging an mir vorbei in die Wohnung, zog sich den Mantel aus und wieder an. »Bei dir ist es ja saukalt!«
Ich stellte meinen zweiten Stuhl dicht vor den Ofen. So saßen wir da. Er im Mantel und ich mit stinkenden Schuhen. Den Meldezettel steckte ich mir in die Hose.
»Ich war auf der Demo, mit Spön. Kennst du Spön?«, fragte er.
»Nein. Ich kenn hier eigentlich niemanden. Nur Toni und dich«, sagte ich. Hartmut verschwieg ich. »Außerdem meine Nachbarin und die älteste Nutte vom Naschmarkt.«
»Der Spön und ich hatten eigentlich keine Lust auf die Demo und waren Kuchen essen, im ›Café Sperl‹. Am Nebentisch saßen ein paar Polizisten, denen war’s auch zu kalt draußen. Da waren auch ein paar deutsche und japanische und italienische Touristen. Der Spön steht plötzlich auf und ruft: ›Hoch die internationale Solidarität.‹ Dann stopft er sich eine ganze Cremeschnitte in den Mund und fordert die Touristen auf mitzumachen, aber dann kommen schon die Polizisten und sagen, er soll eine Ruh geben. Spön wird natürlich gleich wieder wild, man darf ihn halt nicht ärgern. Er studiert Architektur und ist ganz friedlich, aber wenn man ihm blöd kommt, wird er rabiat, als hätte er ein paar Gläser Schilcher getrunken. Kennst du das ›Sperl‹?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Die stellen immer Teller mit Kuchen auf einen Tisch beim Eingang. Spön geht also zu dem Tisch und fängt an, die Polizisten mit
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