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Sechs Richtige (German Edition)

Sechs Richtige (German Edition)

Titel: Sechs Richtige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffi von Wolff
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nicht so schlecht. Endlich saß Jan mal ruhig und rutschte nicht hin und her wie ein kleines Kind, das aufs Klo musste. Sie waren im Hotel
Hafen Hamburg
untergekommen und hätten bei besserem Wetter einen traumhaften Blick auf die Elbe und die Werft von
Blohm & Voss
gehabt. Später am Abend hatten Astrid und Hanno noch in der Bar im obersten Stockwerk gesessen und Cocktails getrunken, während die drei großen Kinder beleidigt in ihren Zimmern blieben und sich vor die Glotze hockten. Nur Lilly saß bei ihnen und schaute fasziniert aus den Fenstern.
    Und am nächsten Morgen hatte sich das schlechte Wetter gelegt, und die Sonne strahlte vom Himmel, was die Laune von allen dann doch ein bisschen hob. Sie mussten früh an den Landungsbrücken sein, von dort fuhr der Katamaran. Erst nach Wedel, dann nach Cuxhaven und dann auf direktem Weg nach Helgoland. Das Gepäck hatten sie gesondert geschickt, das wartete schon in der Wohnung der Jugendherberge auf sie. Das hatte alles die Lotteriegesellschaft organisiert.
    Es wurde immer wärmer, sie befanden sich auf dem hinteren Deck, und tatsächlich lächelten die drei Großen hin und wieder. Lilly las mit stoischer Ruhe in einem Helgolandführer und war mit sich zufrieden. So wie immer.
    «Helgoland ist eine amtsfreie Insel im Bezirk Pinneberg», erklärte sie vorbeilaufenden Passagieren, die tatsächlich stehen blieben und ihr zuhörten. «Das höchste Bauwerk ist ein Richtfunkturm. Hundertdreizehn Meter. Und Helgoland ist eines der 77 bedeutendsten Geotope Deutschlands. Das sind erdgeschichtliche Bildungen, die Erkenntnisse über die Entwicklung der Erde oder des Lebens vermitteln. Ist das nicht wundervoll?»
    Astrid hatte gegrinst. Lilly liebte in der Tat die Information, und seitdem sie lesen konnte, schnappte sie sich jedes Lexikon und jeden Reiseführer. Und wenn sie etwas sah und nicht wusste, was das war, recherchierte sie so lange, bis sie es hundertprozentig kapiert hatte.
    Jan machte mit seinem iPhone Fotos, und seine Schwestern hingen an der Reling und schauten abwechselnd aufs Wasser und auf die kreischenden Möwen.
    Und dann war das Wetter wieder umgeschlagen. Auf einmal. Einfach so. Ohne Vorwarnung. Eine halbe Stunde nachdem sie Cuxhaven verlassen hatten, fing ein sturzbachartiger Regen an, und es kam so viel Wind auf, dass der Katamaran in alle Richtungen ruckartig hin und her schaukelte.
    «Mir ist total schlecht», sagte Vanessa leise. «Scheiße, ist mir schlecht.»
    Mit einer Durchsage wurden alle Passagiere ins Innere des Katamarans zurückbeordert, und jetzt saßen sie hier, hielten sich fest, so gut es ging, und hofften, dass dieses verdammte Wetter sich wieder beruhigen würde. Aber es wurde immer schlimmer.
    «Es ist doch Sommer!», rief eine übergewichtige Frau, die kaum in ihren Sitz passte und stark schwitzte. «Im Sommer darf doch kein Wind sein!» Offenbar war sie nicht die Hellste auf dem Planeten.
    Draußen krachten die Wellen hart gegen den Kat, und der Regen prasselte gegen die Scheiben. Der Wind pfiff bedrohlich, und dann neigte sich der Kat so stark auf die rechte Seite, dass Tassen, Gläser und Telefone zusammen mit Mänteln, Büchern und allem möglichen anderen Kram durch die Gegend flogen. Der Kat bäumte sich auf, um einige Sekunden später wieder herunterzukrachen.
    «Wie auf der Titanic!», brüllte die nicht ganz helle Frau, die sich auf den Sommer berufen hatte. «Da hat der eine Konstrukteur gesagt, dass es eine mathematische Gewissheit sei, dass das Schiff sinkt. Dabei wollte ich doch nur Parfüm und Kosmetik kaufen. Und Weingummi. Buhuuu!» Sie schlug die Hände vors Gesicht und jammerte unverständliche Sachen vor sich hin.
    «Sei doch ruhig, Ulla», sagte ihr ebenfalls übergewichtiger Mann. «Weingummi ist nun wirklich nicht das Wichtigste. Am wichtigsten ist der Cognac. Weingummi macht nur fett.» Er biss in ein Käse-Schinken-Croissant, und Krümel fielen auf seine Hose.
    «Das verzeihe ich euch nie», sagte Antonia, deren Gesicht langsam die Farbe einer Olive annahm. «Niemals, solange ich lebe.» Sie hatte seit Stunden nichts mehr gesagt.
    Weder Hanno noch Astrid war in der Lage zu antworten. Astrid hielt sich die ganze Zeit schon die Hände vor den Mund. ‹Wenn ich brechen muss›, dachte sie verzweifelt, ‹wohin, wohin?›
    Sie sah sich um. Es war völlig unmöglich, aufzustehen und die Klos aufzusuchen. Sie würde keinen Meter weit kommen. Nein, sie musste sitzen bleiben, sonst würde sie gegen die Decke oder die Wand

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