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Sechs Richtige und eine Falsche: Roman (German Edition)

Sechs Richtige und eine Falsche: Roman (German Edition)

Titel: Sechs Richtige und eine Falsche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Hasselbusch
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gemeinsam durchgestanden als auch solche Momente, wenn ein Mann sich mal wieder dünne gemacht hatte. Ihren größten Freundschaftsbeweis hatte sie geleistet, als meine Mutter gestorben war. Ich selbst war damals zu nichts mehr in der Lage gewesen, rührte mich gefühlte Tage lang nicht vom Sofa und unter meiner Decke und aus meinem Schlafanzug hervor. Verena hatte die Anzeige in der Zeitung aufgegeben, mit dem Bestattungsunternehmen gesprochen, die Adressen für die Traueranzeigen herausgesucht und sogar den Butterkuchen für das Treffen nach der Beerdigung gebacken. Auf dem Leichenschmaus hatte sie mit ihr völlig unbekannten Menschen sinnentleerte Gespräche geführt, mit Unterstützung von Carl, der zu diesem Anlass extra einen schwarzen Anzug aus der hintersten Ecke seines Kleiderschranks gekramt hatte. Ich hatte mich nach einem viertel Stück Butterkuchen in das Malatelier meiner Mutter verkrümelt und dort stundenlang ins Leere gestarrt, bis auch der letzte Gast verschwunden war. Im Klartext: Ich war an dem Tag ein Komplettausfall. Anstatt mich beleidigt zu rügen, verabschiedete Verena freundlich die Gäste, machte den Abwasch, zog mich sanft aus dem Atelier, verfrachtete mich aufs Sofa, machte eine Tüte Chips und eine Flasche Bier auf und schob ein Video nach dem anderen in den Rekorder, von ›A Chorus Line‹ bis ›Dirty Dancing‹. Von dort bis zu unserem Zumbakurs waren wir immer im Gleichschritt marschiert.
    »Ja, ich komme mit in die Bar. Die anderen auch? Ich muss euch mal was fragen«, entgegnete ich auf Verenas Frage.
    »Ich glaub schon. Hauptsache, Ralf setzt sich diesmal nicht wieder zu uns.« Verena weigerte sich strikt, ihn Rafael zu nennen.
    »Muy bien, chicas!« Rafael animierte uns gerne auf Spanisch, obwohl ich hätte wetten können, dass er nicht mehr als zwei südamerikanische Länder aufzählen konnte, in denen man Spanisch sprach.
    »Argentinien und Dings, hier, äh, weißt schon, Brasilien«, hätte er bestimmt gestammelt, mir dann einen Klaps auf den Po gegeben und wäre mit einem anzüglichen »Adiós, chica« aus dem Saal gehüpft. Wahrscheinlich war ich bloß eifersüchtig, weil er, hijo de puta , viel lockerer in der Hüfte war als ich. Seit drei Monaten quälte ich mich durch den Kurs, es machte Spaß, ja, die Musik war super, ja, auch ein paar Gramm waren schon weggeschmolzen, aber ich kam mir immer noch vor wie ein Sumoringer im Tutu. Das Unrhythmische hatte ich bestimmt von meinem Vater geerbt. Ihm schrieb ich in meinem Zorn alle schlimmen Eigenschaften zu. Die Fünf in Chemie, das Tollpatschige, das Chaotische (oh Mann, wie ich ihn verfluchte, wenn ich mich durch meine Handtasche wühlte), die Morgenmuffelei und die zwei linken Füße. Von Mama kam der Rest, obwohl sie mal in einer schwachen Minute gesagt hatte, dass meine schönen karibikblauen Augen von ihm stammten. Sobald ich erst perfekt im Zumbatanzen wäre, würde ich mich mit einer Karibikreise belohnen. Natürlich hatte ich dafür nicht genügend Geld, aber was sollte es schon? Ich perfekt im Zumbatanzen war in etwa so wie Reiner Calmund, der in einem Restaurant nur ein Glas Wasser bestellte.
    Zu sechst tranken wir nach dem Kurs in der Bar Cocktails. Ich wählte einen Ipanema, die alkoholfreie Variante der Piña Colada. Das leckerste Nachspiel nach der schweißtreibenden Tanzstunde. Nachdem ich durch den Strohhalm eine große Portion Rohrzucker inhaliert hatte, schaute ich fragend in die Runde.
    »Nehmt mal an, ihr gewinnt im Lotto. Was würdet ihr mit dem Geld machen?«, fragte ich.
    Die erschöpften Gesichter erhellten sich schlagartig. Holger, einer der wenigen Zumba-Männer, sprudelte eine ganze Reihe an Wünschen hervor.
    »Warte, warte«, bremste ich ihn und zog eilig mein Mikrofon aus der Handtasche.
    »Oh nö, nicht schon wieder. Ist das für deinen Sender?« Andrea verdrehte die Augen und verabschiedete sich schnell aufs Klo. Verena blieb ungerührt sitzen und rührte in ihrem Drink. Ich hatte sie schon etliche Male als Umfrageopfer missbraucht. In jeden guten Beitrag gehörte neben den Interviews mit Betroffenen auch die »Stimme des Volkes«. Und wenn einen alle Passanten auf der Straße links liegen ließen, bat man eben seine Freunde, ein kurzes, präzises oder bei Belieben auch lustiges Statement ins Mikrofon abzugeben. Verena war Profi darin, ihr konnte man sagen, wie viele Sekunden sie genau sprechen sollte und in welchem Tonfall. Sie hatte sich schon zu ernsten Themen wie »Finanzkrise« und

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