Sechs Richtige und eine Falsche: Roman (German Edition)
deine Frisur überdenken.«
Der nächste Anrufer war auch nicht besser. Daniel, unser Volontär.
»Dotz hat mir gesagt, du interviewst nachher diese Millionäre in Blankenese. Kann ich da mit?« Auch von ihm weder ein »guten Morgen« noch sonst was.
»Wieso das denn?«, fragte ich zögerlich, weil ich keine Lust hatte, mich den ganzen Tag mit dem unflätigen Kerl herumzuschlagen.
»Dotz sagt, ich muss mal raus. Auf Termine.« Das hätte man auch anders verstehen können. Ich konnte mir gut vorstellen, dass Dotz in einem Wutanfall Daniel zugerufen hatte: »Sie sind raus!«, und der hatte verstanden: »Sie müssen raus!«. Egal, ich würde ihn mitnehmen, schließlich konnte Daniel mir nützlich sein. Er hatte ein Auto, irgendein altes Cabrio, mit dem wir zumindest so halbwegs in die Elbchaussee passen würden. Ansonsten hätte ich mit der U-Bahn fahren müssen, weil ich selbst gar keinen Wagen besaß.
»Ich könnte Fotos machen für unsere Homepage. Das ist ja nicht so ganz dein Ding, hat Dotz gesagt«, fügte Daniel noch wichtigtuerisch an. Woher wollte Dotz wissen, ob das mein Ding war, wenn ich doch noch nie Fotos für den Sender geschossen hatte?
»Na gut, du darfst mich sogar abholen«, erklärte ich huldvoll. Das mit den Fotos passte prima, schließlich hatte die Dame des Hauses danach gefragt. »Aber halt dich zurück, verstanden?«
»Aye, aye, Sir, äh, Ma’am!«, verbesserte er sich. Nach diesem Satz verfiel ich prompt in eine trübsinnige, selbstvernichtende Grübelei. Ob ich vielleicht zu männlich wirkte? Immer nur ein Kumpeltyp war? Würde ja passen. Der zackige Tonfall vonDaniel und vorher Ralf, der mich nur als Überbringerin benutzte. Dabei hatte ich vor einem Jahr extra begonnen, mir die Haare lang wachsen zu lassen, um mich femininer zu präsentieren. Trotzdem biss niemand so richtig an, nicht einmal in Kombination mit Carls Ingwermischung.
»Hast du ein Käppi?«, holte Daniel mich zurück ins Hier und Jetzt. »Brauchst du fürs Cabrio. Wir fahren offen, und sonst hast du total verfilzte Haare hinterher. Du hast doch bestimmt noch nie in einem Cabrio gesessen?«
»Zumindest noch nie in einem so alten wie deinem!«, gab ich schnippisch zurück. Daniel lachte nur.
»Ich sammele dich gleich ein. Komm schon mal runter.«
Schnell packte ich Block, Stift und Mikrofon zusammen, rannte die Treppe hinunter und stellte mich vor die Tür. Irgendwie freute ich mich sogar ein wenig auf die Fahrt, weil ich nämlich, nur mal so am Rande, noch nie in einem Cabrio gesessen hatte. Nach fünf Minuten Warten schaute ich nervös auf die Uhr. Ich wurde ungeduldig. Weitere zehn Minuten später kannte ich Carls Gewürz-Schaufenster auswendig. Er müsste wirklich mal neu dekorieren. Der Paprikasack hatte schon da gestanden, als man noch mit Mark bezahlte.
Allmählich stieg Wut in mir auf. Was dachte sich dieser nichtsnutzige Volontär? Ich hatte nicht mal seine Handynummer, um ihn am Telefon zusammenzufalten. Er hatte mich vorhin aus dem Sender angerufen, daher fand ich bloß diese Nummer auf meinem Display und drückte auf Wiederwahl.
»Ist der kleine arrogante Schnösel noch da?«, fragte ich Melanie.
»Der ist schon lange los«, entgegnete unsere Redakteurin prompt, ohne auch nur ansatzweise zu überlegen, wen ich gemeint haben könnte.
»Vom Sender zu mir sind es fünf Minuten, mit Stau sieben. Der Kerl ist längst überfällig.«
Melanie seufzte. »Bestimmt hat er mit seinem unwiderstehlichen Charme irgendeine Maus an der Ampel angequatscht und sich mit ihr festgeflirtet. Viel Glück. Und mach ihn rund!«
Immer noch nicht da. Kurz entschlossen riss ich die Tür zu Carls Laden auf und stapfte wütend hinein.
»Bist du versetzt worden?«, fragte Carl, der mich offenbar durch die Schaufensterscheibe beobachtet hatte. Ich rechnete es ihm hoch an, dass er nicht so was sagte wie: »Bist du wieder versetzt worden?«
»So ein dahergelaufener Volontär lässt mich einfach stundenlang warten«, echauffierte ich mich übertrieben.
»Ein was?«, fragte Carl stirnrunzelnd.
»Ein Volon…, also ein Auszubildender, ein Lehrling, Azubi.«
»Ach so.« Mit diesen Begriffen konnte Carl etwas anfangen.
»Ein Nichtsnutz!« Carl fasste mich kurz am Arm und drückte mich sanft auf meine Orangenkiste nieder.
»Nun beruhig dich erst mal. Heute schon einen Kakao gehabt?«, fragte er besorgt.
»Nö, noch nicht«, gab ich zu.
»Hier, nimm meinen.« Als ich Carls warme Tasse in meinen Händen spürte, wurde ich ruhiger
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