Sechs Richtige und eine Falsche: Roman (German Edition)
und schaltete einen Gang zurück.
»Ich bin nur so genervt, weil ich gleich ganz dringend bei einem Termin sein muss, in Blankenese. Ich mache einen Beitrag über Lottomillionäre. Irgendjemand hat den Jackpot geknackt, sich aber noch nicht gemeldet. Jetzt soll ich unterschiedliche Geschichten über Gewinner recherchieren und sehen, was aus ihnen geworden ist.«
Carl beäugte mich interessiert. Er mochte es, wenn ich ihn mit Interessantem aus der großen weiten Welt fütterte. Er bewegte sich wochentags ja nicht weiter als in einem Fünfzig-Meter Radius, das nannte er sein »Bäcker-Kiosk-Gewürze-Bermudadreieck«.Im »Würz« war er über Jahre von seiner Umwelt abgeschnitten gewesen, mal abgesehen von dem spanischen Paprikalieferanten. Vor einigen Jahren hatte ich dann Carl ein kleines Radio geschenkt, das seither auf einem Regal über dem Verkaufstresen stand und auf meinen Sender eingestellt war. Es blieb mir ein Rätsel, wieso er Radioempfang, ich aber nie Handyempfang im Laden hatte. Carl jedenfalls war seither stets bestens informiert, vor allem über alles, was ich so über den Äther blies.
»Spielst du eigentlich Lotto?«, fragte ich, als es draußen zweimal hupte.
»Ja, seit Jahren, immer dieselben Zahlen. Hat aber nie geklappt. Und jetzt fährst du ins mondäne Blankenese zu einem Lottoglückspilz?«
»Genau, mal sehen, wie es da so aussieht, bestimmt nicht so verstaubt wie bei dir.« Carl schaute entrüstet.
»Aber sicherlich auch nicht so gemütlich.«
Milde lächelnd erhob ich mich von der »bequemen« Orangenkiste und drückte Carl seine Kakaotasse in die Hand, als ein Dauerhupen von der Straße meine Stimme übertönte.
»Beeil dich, dein Volon-Azubi scheint ein ganz Ungeduldiger zu sein.«
Betont lässig spazierte ich auf den Bürgersteig. Daniel hielt in zweiter Reihe und seine Hand auf der Hupe. Frau Resche tauchte mit ihrem Hund neben mir auf und schüttelte den Kopf.
»Was für ein Bengel. Spinnt der? Was sucht der überhaupt hier?«, pöbelte meine Nachbarin los.
»Mich sucht er«, gab ich zurück und sprintete zum Auto. Unter dem verdutzten Gesicht von Frau Resche sprang ich zu Daniel ins Cabrio.
»Mann, hör auf, du machst die ganze Straße verrückt.«
»Deine Schuld. Du warst ja nicht pünktlich.« Kurz schnappte ich nach Luft.
»Freundchen, wer hier nicht rechtzeitig da war, warst du! Von wegen gleich …«
»Du bist bestimmt so ’ne Frustrierte, und wenn dich mal ein Mann abholen will, stehst du die ganze Zeit am Fenster, und wenn er nicht ganz pünktlich ist, faltest du ihn zusammen.«
»Fahr los«, befahl ich, ohne seinen Kommentar zu beachten. »Wir sind geschäftlich unterwegs. Und wehe, du vermasselst es.«
Es ist nicht schwer, Menschen zu finden,
die mit sechzig zehnmal so reich sind,
wie sie es mit zwanzig waren.
Aber nicht einer von ihnen behauptet,
er sei zehnmal so glücklich.
George Bernard Shaw
Wir fuhren zügig durch die Stadt, das Wetter war angenehm, es wehte nur ein leichter Wind, und nach einigen Minuten setzte ich meine Sonnenbrille auf. Ich war zufrieden, trotz Daniel auf dem Fahrersitz. Als wir auf die Elbchaussee bogen, kramte ich den Zettel mit der Adresse heraus. Gleich hier musste es sein, war ich mir sicher, als ich die Hausnummern auf der rechten Seite fixierte. Ein Herrenhaus neben dem anderen.
»Wow!«, sagte Daniel nur, und ich wusste, dass wir da waren. Durch ein geschwungenes Einfahrtsportal fuhren wir auf einen Kiesweg, der uns zum Anwesen führte, ein hochherrschaftliches Haus mit imposanter Treppe. Wir parkten vor einem blühenden Rhododendron neben zwei Sportwagen neueren Datums.
»Schade, dass du nicht an das Käppi gedacht hast«, meinte Daniel, als ich gerade aussteigen wollte. Flugs kontrollierte ich meine Frisur im Schminkspiegel und musste mit Schrecken feststellen, dass ich etwas derangiert aussah. Mit ein, zwei Handgriffen versuchte ich, das Malheur zu bändigen und mir meinen Unmut nicht anmerken zu lassen.
»Hättste mal auf mich gehört«, foppte Daniel mich. Ich nickte bereitwillig.
»Ja, ja. Jetzt hast du aber mal Sendepause. Wehe, du hältst dichnicht zurück!« Daniel wedelte pflichtschuldig mit seiner Kamera. »Mach schon mal eines von außen«, flüsterte ich ihm zu.
Was für ein beeindruckendes Gebäude. Eine Altbauvilla von drei Etagen mit Efeu, der an der Hauswand emporwuchs. In großzügigen Kübeln waren farbenfrohe Blumen gepflanzt und rahmten die Treppe zur Haustür.
Als wir klingelten, öffnete uns das
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