Sechs Richtige und eine Falsche: Roman (German Edition)
besorgt. Der Wagen hat schon lange seinen Geist aufgegeben, und anstatt ihn verschrotten zu lassen, haben wir ihn hierhergeschafft.« Wieder eine Neuigkeit. Ganz vage konnte ich mich daran erinnern, dass Carl einen blauen Bulli gehabt hatte, in dem ich sogar als Kind mal gespielt hatte. Der Wagen musste ja mindestens so alt sein wie ich. »Gelegentlich kommt Carl hierher. Wir reden dann über die guten alten Zeiten.«
Kaschi blickte auf ein Foto in einem Bilderrahmen. Ich folgte seinem Blick und erkannte Carl. Einen jungen, strahlenden, braungebrannten Carl in der Love-and-Peace-Ära, in T-Shirtund Shorts am Strand. Er hielt zwei Mädchen im Arm, die mir entfernt bekannt vorkamen. Zwei wie so viele aus den Zeitschriften in denen Mädchen im Hippie-Look gestylt wurden, mit langen glatten Haaren, Blumenhosen und übergroßen Sonnenbrillen. Kaschi, der das Foto komplettierte, sah genauso ausgelassen, jung und lebenshungrig aus wie die anderen. Happy Hippies eben.
»Weiß die Frau eigentlich, dass Sie mit Ihren Zahlen den Jackpot geknackt haben?« Kurz hatte ich gehadert, ob ich diese Frage stellen konnte, entschloss mich aber dazu, weil ich nicht glaubte, dass Kaschi ein Typ war, der so viele Jahre später noch zusammenklappen würde.
»Nö. Ich glaub nicht. War dann ja auch vorbei. Was soll’s.« Kaschi unterbrach abrupt die Gemütlichkeit, erhob sich aus dem Gartenstuhl und öffnete die Tür des Wohnwagens. »Ich muss hier noch ein bisschen aufräumen. Als Hausmeister hat man schließlich so seine Aufgaben.« Mir war klar, dass dies eine Ausrede war und Kaschi noch nie auch nur einen Schlag in diesem verwilderten Hinterhof getan hatte. Vermutlich langweilte er sich elendig.
»Danke für das Interview. Haben Sie ein Radio? Ach ja, da hinten.« Ich entdeckte ein kleines, braunes Gerät, aus dem vermutlich schon in den Siebzigern Janis Joplin und The Doors geklungen hatten.
»Ja, ich schalte es mal ein. Wann läuft die Geschichte denn?«
»Wenn ich mich beeile, noch heute Nachmittag.«
»Schön, dich mal kennengelernt zu haben, Jule. Mach’s gut.«
Nur ungern wollte ich diesen Ort verlassen. Ich war mir selbst nicht ganz geheuer. Offenbar fühlte ich mich bei alten Männern am wohlsten, die entweder in dunklen Gewürzlöchern lebten oder in schrottigen Wohnwagen. Immerhin konnte man mir nicht vorwerfen, ich sei ein verwöhntes Luxusweib. Gerne wollte ich noch etwas Kluges zum Abschied sagen.
»Sie haben echt starke Oberarme. Was für einen Umfang haben die denn nun?« Na gut, streichen wir das Wort klug.
»Keine Ahnung, dreiundvierzig Zentimeter vielleicht. Wieso?«
Ich winkte ihm lächelnd zu, trat meinen Rückweg durch die wilde Hinterhofnatur an, und bevor ich mich ein zweites Mal dem Kampf mit der Wäscheleine stellte, drehte ich mich noch einmal um.
»Dreiundvierzig. Falls ich mal Zahlen für einen Lottoschein brauche!«
Glück ist das Einzige, das sich verdoppelt,
wenn man es teilt.
Albert Schweitzer
Die Sache mit dem Gewicht kam gut an. Unser Moderator André freute sich ein Loch in den Bauch, als er einige Stunden später in der Sendung Kaschi lauschte, der seine persönliche Jackpot-Zahlenkombination erklärte.
»Jetzt stell dir mal vor, die hätte ein Stück Kuchen mehr gegessen und ein Kilo mehr auf die Waage gebracht, dann wäre es mit den sechs Richtigen nichts geworden.« Diese Zwischenbemerkung war selbstredend nicht abgesprochen, und ich erwiderte leise sinnierend, so als würde ich mit mir selbst sprechen: »Ich glaube, eine Richtige wäre ihm wichtiger gewesen als sechs Richtige.« Ob unser Moderator den doppelten Sinn verstand, blieb offen. Ich erwähnte noch, dass er sowieso Unglück im Glück gehabt hatte, da ihm nichts geblieben war, nicht einmal der Wurst-Wohnwagen.
»›Kaschis heiße Kiste‹ ist ein bisschen zu heiß gelaufen, was?« Erwähnte ich bereits, dass unser Moderator zwar ein Mann mit viel Humor war, den Bogen mit seinen Wortspielchen aber gelegentlich überspannte und ins Geschmacklose abdriftete?
»Ist denn nun klar, wer den Jackpot geknackt hat? Hast du ihn gefunden?«
»Nein, das ist ja auch top secret . Viele möchten einfach nicht in der Öffentlichkeit stehen. Ich suche weiter, und so lange erzählen wir die Geschichten anderer Lottogewinner in und um Hamburg.«
»Wusstest du eigentlich, dass uns vorhin jemand gemailt hat?« André reichte mir einen Ausdruck, was man eigentlich während eines Live-Gesprächs nicht tat. Aber wann tat André schon einmal
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