Sechs Richtige und eine Falsche: Roman (German Edition)
etwas, was andere taten. Ich überflog die Zeilen.
»Oh, der Kindergarten ›Stoppelhopser‹.«
»Ja, genau. Du hast doch erzählt, dass sie kurz vor der Pleite stehen. Und weißt du, was jetzt passiert ist?« Ja, ich wusste es, schließlich war ich gerade dabei, die Mail zu lesen.
»Sie haben eine anonyme Spende bekommen?« Das war wirklich eine große Überraschung.
»So war’s. Ich habe da gleich mal angerufen.« Bestimmt hatte er anrufen lassen. »Ein Umschlag ohne Absender lag beim Kindergarten im Briefkasten mit jeder Menge Scheinen drin. Die Stoppelhopser konnten ihr Glück kaum fassen. Die Kita ist gerettet, weil du drüber berichtet hast!« André neigte zu Übertreibungen. Wer weiß, ob es tatsächlich an unserem Bericht lag.
»Und vom Absender wirklich keine Spur?«
André zuckte die Achseln. »Kein Name, keine Adresse, auf dem Umschlag war nur ein grüner Aufkleber. Ein Glücksklee!« André spielte noch das Jubeln einer Kindergruppe ein. Sicherlich handelte es sich hierbei nicht um die Stoppelhopser. Das mussten Jubelrufe aus dem antiquierten Geräuscharchiv sein, von Kindern, die inzwischen vielleicht schon stramm auf die Rente zugingen.
Wie gut, dass ich es ausgestellt hatte: Mein Handy gab lautlose Blinkzeichen. Manchmal vergaß ich in der Eile, das Handy auf leise zu stellen, bevor ich ins Studio ging. Unter höchster Androhung von körperlichen Qualen und Honorarabzug schärfte uns Dotz immer und immer wieder ein, unsere kleinen handlichen Spielgenossen in der Redaktion liegen zu lassen, bevor wir einen Auftritt im Studio hatten. Trotzdem schmuggelten wir die Handys gerne mit rein. Demjenigen, der sein Handy währendeiner Live-Sendung anließ, drohte gar die Todesstrafe. Angeblich würden die Strahlungen die gesamte Studiotechnik außer Gefecht setzen und die Schwerkraft vermutlich ebenso.
Ich hatte einmal miterlebt, wie unser Chef selbst vor großen Namen nicht Halt machte und bei André in die Sendung stürmte, als er dessen Handy in der Live-Sendung klingeln hörte. Mit wutverzerrtem Gesicht durchquerte er im Stechschritt die Redaktion, riss trotz Rotlichts die Studiotür auf und wollte André gerade sein klingelndes Spielzeug aus der Hand schlagen. Der schaute Dotz verwirrt an und konnte ihm gerade noch klarmachen, dass er einfach nur ein vorher aufgenommenes Klingeln per Soundeffekt eingespielt hatte. Dotz’ geballte Faust zuckte kurz vorm Ziel zurück. So wütend hatte ich Dotz noch nie gesehen und André noch nie so ängstlich.
Auf diversen folgenden Sommerfesten und Weihnachtsfeiern hatte er im geselligen Teil die Geschichte zum Besten gegeben, wobei er je nach Alkoholkonsum die Story so ausschmückte, dass er sich Dotz mutig in den Weg gestellt habe. Seine Erzählung beendete André jedes Mal mit der Pointe, froh gewesen zu sein, dass Motz nicht bemerkt habe, dass er bei Facebook eingeloggt gewesen sei.
»Claussen, hallo?«
Ich meldete mich leise am Handy, nachdem ich vorsichtig die Redaktion nach meinem Chef abgesucht hatte. Dem traute ich auch zu, dass er sich hinter einem Aktenschrank versteckte, um das Handy einzukassieren. Wie in der Schule.
Wir vermuteten übrigens, Dotz war bloß deshalb so verbittert, weil er mit einem »dieser Teufelsdinger« sein eigenes Leben ausgestellt hatte. Im Grunde war er neidisch auf das Klingeln unserer Handys, wartete er doch selbst seit Jahren auf den Anruf seiner Exfrau, mit der er in einem seiner cholerischen Augenblicke per SMS Schluss gemacht hatte. Sagen wir es mal so: Unser Chefwar einfach verstrahlt. Und das hatte mit der Handymastendichte in Hamburg leider rein gar nichts zu tun.
»Hallo, Frau Claussen, Markus Röck hier, ich wollte mal hören, ob Ihr Chef Sie am Leben gelassen hat?« Ein Grinsen breitete sich auf meinen Lippen aus.
»Na, gerade eben so. Er hatte Strick, Arsen und Knarre schon parat.«
»So wie der klang, würde ich ihm alles zutrauen. Der geht doch bestimmt über Leichen.«
»Nur leider ist er nicht totzukriegen«, gab ich zurück. Es machte Spaß, mit Markus Röck zu scherzen, auch wenn er durch die Freisprechanlage schlecht zu verstehen war. »Sagen Sie mal, im Büro sind Sie nie, oder? Sie werden wohl nur dafür bezahlt, dass Sie im Cabrio durch die Gegend fahren.«
»Nee, nee«, lachte er. »Es ist nicht so, wie Sie denken!«
»Das sagen sie doch alle.« Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie Melanie mich interessiert fixierte. Ich versuchte, mich zu beherrschen, und das Teenagerkichern
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