Sechs Richtige und eine Falsche: Roman (German Edition)
haben, sonst würde sie mich wieder nach meinen festen Einnahmen fragen. Sie hatte Schwierigkeiten zu glauben, dass meine Honorare von Monat zu Monat variierten, je nach Auftragslage.
»So sind Sie, Claussen. Die Millionen auf dem Konto scheffeln, aber der Hansen die Lottobeiträge nicht gönnen.«
Dotz’ gehässige Kommentare waren absolut lächerlich. Ich war pleite. Das wussten alle. Carl wusste es, meine Kollegin Melanie auch. Die mich jetzt allerdings sehr befremdlich musterte, als ich durch die Redaktion ging. Keiner sagte ein Wort, bloß Daniel fragte vorlaut, ob das echt stimme oder ob ich was mit dem Schneider aus der Elbchaussee angefangen hätte. Selbst diesen dreisten Spruch ignorierte ich.
Jeder wusste, dass ich mich finanziell übers Monatsende rettete. Der kalte Schweiß lief mir den Rücken runter, als mir aufging, dass ich sehr häufig mit neuen Klamotten in die Redaktion kam und gleichzeitig jammerte, dass ich mir diese gar nicht leisten konnte. Ob tatsächlich alle dachten, das sei gelogen? So ein Quatsch. Kein Mensch würde glauben, was André durchs Radio posaunt hatte. Nicht, dass ich die Aussicht auf einen rosigeren Kontostand nicht durchaus aufmunternd gefunden hätte, dachte ich in einem Anflug von Sarkasmus. Vielleicht sollte ich mir mal einen Kontoauszug ziehen. Man wusste ja nie, unter Umständen prangte auf dem Auszug eine Zahl mit sechs Nullen. Quatsch.
Verena wusste, dass ich liebend gerne mit ihr in die Karibik geflogen wäre, was absolut unrealistisch war. Ich hatte sogar lange hin und her überlegt, ob ich mich in dem Sportclub anmelden sollte. Aus Angst, einmal zum Zumba zu gehen und danach noch monatelang den Beitrag zu zahlen, so wie es etliche Sportstudioambitionierte rund um Neujahr taten, um dann nach spätestensdrei Übungseinheiten eine eher passive Mitgliedschaft einzugehen.
Kein Mensch würde es glauben. Morgen wäre der Spuk vorbei, und ich könnte weiter auf die Suche nach dem wahren Gewinner gehen. Ich atmete frei auf, als ich ins Freie trat, etwas frustriert zwar, aber sicher, dass sich alles aufklären würde. Ich dachte an Markus Röcks goldene Regeln für Lottogewinner. Regel Nummer eins besagte, dass man niemandem im näheren Bekanntenkreis vom Lottogewinn erzählen sollte. Wie wahr, dachte ich, als mein Handy klingelte.
» Waaas? Warum hast du das denn nicht erzählt?«
Geld allein macht nicht glücklich,
aber in einem Taxi weint es sich besser als in der Straßenbahn.
Marcel Reich-Ranicki
Ich war mir nicht sicher, ob sie es mir wirklich abkaufte.
»Aha, du hast also nicht im Lotto gewonnen?«, fragte Verena. Sie klang ähnlich skeptisch wie damals in der Vierten meine Klassenkameradin Sandra, als ich ihr weiszumachen versuchte, ich hätte ihren Schwarm nicht geküsst.
»Natürlich habe ich ihn nicht geküsst, äh, nicht geknackt, meine ich.«
»Du bist ja total durcheinander«, bemerkte Verena. »Brauchst du Hilfe?« Ich kicherte hysterisch.
»Du meinst beim Ausgeben des Geldes?«
»Mensch, Jule.« Inzwischen war mir alles egal. Mit meiner Freundin Verena würde ich ja wohl Scherze über mein angebliches Millionenvermögen machen können. Mir entging, dass ihre Sätze weiter diesen fragenden, zögernden Unterton hatten.
»Du kannst dich ja mal ein wenig ausruhen. War bestimmt ein anstrengender Tag.« Ich nickte erschöpft, was Verena durchs Telefon nicht sehen konnte. Ich sehnte mich nach meinem Bett und nach Carl. Also, nicht zusammen. Nacheinander. Logisch. Ich musste wirklich durcheinander sein, dass ich schon so wirre Verknüpfungen anstellte.
»Wollen wir uns morgen treffen?« Verena sagte sofort zu.
»Das trifft sich gut. Könntest du mir vielleicht helfen, ein Bett abzuholen?« Verena erzählte, dass sie bei eBay ein günstiges Rattanbett gefunden hatte, das im Laden gleich um die Ecke viermalso viel kostete. Sie war geradezu euphorisch ob des Schnäppchens und hoffte, dass ihr niemand das Bett vor der Nase wegschnappte. Mit der Besitzerin war sie sich im Grunde einig.
»Hilfst du mir, es in mein Auto zu schleppen und aufzubauen?«
»Na klar!«, antwortete ich.
»Oder kaufst du nichts Gebrauchtes mehr?«, hörte ich Verena fragen. Vermutlich hatte ich mich verhört.
»Hol mich einfach morgen ab. Vielleicht melde ich mich krank und gehe zu Carl, um abzuschalten.«
Wie nach einer durchzechten Nacht fühlte ich mich, als ich am nächsten Morgen im »Würz« auf meiner Orangenkiste saß. In der Nacht hatten die Träume Purzelbäume
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