Sechs Richtige und eine Falsche: Roman (German Edition)
darauf wimmernd in die Bettdecke zu schniefen. Auf Verena musste meine Show bei Max und Lea wie die eines Goldfischs auf Speed gewirkt haben. Kein Wunder, dass sie stinksauer abgerauscht war. Trotzdem – und das war ja wohl das Entscheidende – durfte sie mich nicht als Geizhals hinstellen, bloß weil sie der Meinung war, ich sei inzwischen Krösus. Wem glaubte sie wohl mehr, mir oder der vermaledeiten Presse? Offenbar Letzterer. Wie wurde man so ein Gerücht nur wieder los, wenn selbst die besten Freunde ohne Nachfrage auf den Zug aufsprangen? »Wenn ich diesen beknackten Jackpot geknackt hätte, würde ich dir die Hälfte abgeben«, hatte ich in mein Handy getippt, aber dann doch gelöscht und nicht an Verena geschickt, weil die Wut wieder anklopfte.
»Verena, es tut mir leid!«, meldete ich mich am Telefon, anstatt meinen Namen zu nennen.
»Spreche ich mit Jule Claussen?« Die fremde Stimme klang nicht nach Verena, viel zu schleimig, viel zu triefend.
»Ja, wer ist denn da?«
»Hier ist Ratjen von Mercedes. Einen wunderschönen guten Morgen. Wir haben uns erlaubt, Frau Claussen, den Wagen bei Ihnen vor der Tür abzustellen. Die Schlüssel haben wir uns erlaubt, in den Briefkasten zu werfen.« Ich saß senkrecht im Bett.
»Erlauben Sie, dass ich kurz nachfrage: Wer sind Sie? Welche Schlüssel? Mein Briefkasten?«
»Ganz recht, Frau Claussen. Den Wagen stellen wir Ihnen gerne für drei Tage zur Verfügung, selbstredend kostenfrei. Unser Fahrer würde sich erlauben, die Schlüssel wieder bei Ihnen abzuholen, Frau Claussen.« Wenn er noch einmal meinen Nachnamen laut sagte, würde ich ihm den Schlüssel in den Mund rammen. Oder besser noch den Briefkasten.
»Das klingt ja super. Aber Sie müssen mich verwechseln. Ich habe gar kein Auto bestellt.« Krampfhaft überlegte ich, ob ich an einem versteckten Gewinnspiel teilgenommen hatte, bei dem man mit einem Klick im Internet zeitgleich virtuell unterschrieb, von nun an bis in alle Ewigkeit täglich mit sieben Anrufen bombardiert zu werden. Vielleicht hatte ich das Kleingedruckte auf der Speisekarte im Restaurant übersehen und mit der Bestellung einer Rhabarberschorle auch einen schicken Flitzer dazu geordert.
»Nein, nein, Frau Claussen!« Einmal noch, ein einziges Mal noch! »Wir haben Sie ausgewählt aus einem Gros an Stammkunden, denen die Ehre zuteilwird, als Erste unsere Neuwagen Probe zu fahren.« Stammkunden? Einen Mercedes-Laden hatte ich doch noch nie von innen gesehen. Genauso gut hätte man sagen können, ich sei Stammkundin bei Cartier in Paris oder am Black-Jack-Tisch in Las Vegas.
»Ich war noch nie …«
»Sie sind ausgewählt und gut!« Herr Ratjen unterbrach mich schroff, offenbar war ich eine harte Nuss. Er machte schließlich auch nur seine Arbeit und musste sicherlich noch eine lange Liste an auserwählten Stammkunden abarbeiten. Normalerweiseerfuhr er wohl nicht so viel Gegenwehr, wenn er seine Autos tageweise verschenkte.
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, Herr Ratjen«, ließ ich mich auf das Spiel ein und freute mich darüber, auch einmal Glück im Leben zu haben. Noch nie hatte ich etwas gewonnen. Weder einen rosa Plüschhasen am Losstand auf dem Dom noch einen schnellen Flitzer.
»Woran erkenne ich denn das Auto?« Hoffentlich würde er jetzt nicht »an dem Stern« sagen. Er blieb höflich.
»Ein roter SLK, bei dem wir uns erlaubt haben, das vorläufige Kennzeichen HH-JC anzubringen.«
Trotz meiner Müdigkeit arbeitete mein Hirn so schnell, zu realisieren, dass JC für Jule Claussen stand.
»Wieso haben Sie meine Initialen genommen?« Kurz überlegte ich, ob ich die ganze Zeit schon mit unserem Moderator André sprach, der seine Stimme verstellte und an mir sein neues Konzept für ein Radio-Spaßtelefon testete. »André?« Ich klang genervt.
»Nein, Simon. Simon Ratjen. Und das JC haben wir gewählt, falls Sie sich entscheiden sollten, einen Teil Ihres Lottogewinns in diesen herrlichen Wagen zu investieren. Viel Spaß und gute Fahrt, Frau Claussen.« Er hatte es gewagt, meinen Namen noch einmal zu sagen. Ich würde ihn wegdrücken. Er kam mir zuvor. Das Gespräch war beendet, und ich blieb zurück mit einem dröhnenden Schädel und einem Gratisgefährt vor der Tür.
Hatte er gerade Lottogewinn gesagt? Der Begriff war in den vergangenen Tagen so fließend in meinen Wortschatz übergegangen wie »hallo« und »wie geht’s?«, dass ich erst zeitverzögert reagierte. Was hatte der Autoaufschwatzer mit meinem Lottogewinn zu
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