Sechs Richtige und eine Falsche: Roman (German Edition)
Fünfzigtausend? Hunderttausend? Eine halbe Million? Ich wusste, was eine Monatskarte kostete, aber weder Auto- noch Spritpreise konnte ich auswendig aufsagen. »Meiner. Wie kommst du nur darauf. Das kommt für mich überhaupt nicht in Frage! Und ich glaube, fahren darfst du damit nicht.« Ich kramte die Unterlagen hervor, die durch unsichtbare Mächte vom ordentlichen Schreibtisch in die Untiefen des Bettes gelangt sein mussten. »Da steht nur mein Name. Tut mir leid.« Ulf zuckte betont gelangweilt mit den Schultern.
»Macht nichts. Ich komm da auch anders hin. Oh, bitte geh nicht ran.« Das Klingeln des Telefons war gemeint.
Ich hatte auch weiterhin nicht vor, meine gemütliche Liegeposition aufzugeben. Die acht Minuten, die mir noch blieben, wollte ich in exakt dieser starren »Stip-Stop«-Haltung verbringen,mit Ulfs Hand auf meinem linken Knie und seinem rechten Knie an meinem Po. Ganz gegen meine sonstige hektische, neugierige Gewohnheit reagierte ich nicht auf das Telefon, sondern ließ den Anrufbeantworter anspringen.
»Werte Frau Claussen, Ratjen hier von Mercedes. Erlauben Sie, dass wir Sie noch einmal stören. Hoffentlich hat der Wagen bisher Ihren Vorstellungen entsprochen. Sollte dies der Fall sein, würden wir uns freuen, wenn Sie den Wagen noch einen Tag länger behalten mögen und wir Sie in Ihrer Vermögensverwaltung dahingehend beraten könnten, einen Teil dessen in unserem PKW-Angebot anzulegen. Melden Sie sich gerne diesbezüglich bei mir, um mit uns in Dialog zu treten. Auf Wiederhören, Frau Claussen.« Ich prustete los, und Ulf starrte mich mit großen Augen an.
»Meinte er das ernst?«, fragte er und meinte die Sache mit dem Vermögen.
»Ja, klar, das meint der voll und ganz ernst«, antwortete ich und meinte diese unfassbar distinguierte, übertriebene, schwanzwedlerische Ausdrucksweise. Allerdings war ich erstaunt, dass Herr Ratjen es geschafft hatte, meinen Namen bloß zweimal zu nennen.
»Und wirst du das Angebot annehmen?«, fragte Ulf und meinte den Vorschlag, einen Teil meines Vermögens in einen der Nobelschlitten anzulegen.
»Warum nicht«, sagte ich und meinte das Angebot, das Auto noch einen Tag länger zu behalten.
Ulf legte seinen Mund ganz dicht an mein Ohr und fragte flüsternd, ob ich wirklich in drei Minuten aufstehen müsse, das sei doch sehr, sehr bald.
»Wir könnten noch in die Verlängerung gehen«, bot ich an. »Dann würde aber Frühstück flachfallen.« Ulf entschied sich für die kalorienärmere Variante.
Als eine der Letzten quetschte ich mich in den Konferenzraum. Dotz saß am Kopfende eines langen Tisches und spielte ungeduldig mit seinen Fingern auf der Platte. Ihm ging das alles nicht schnell genug. Wenn er besonders schlecht und besonders allein geschlafen hatte, wurde er verletzend sarkastisch.
»Wir könnten anfangen, wenn sich dann auch die letzten geschwächten Damen setzen würden, die eben noch an der Angel hingen.«
Dotz durfte solche Dinge ungestraft sagen. Noch nie hatte jemand mit dem Gleichstellungsbeauftragten oder Amnesty International gedroht. Wir wünschten uns einfach nur, dass er endlich mal wieder einen Fang machen würde, damit wir Ruhe vor seiner Piesackerei hätten.
»Die Sendung heute Morgen war Schrott. Pelske, was sollte der Spruch mit dem Sonnenaufgang?« Er suchte unseren Morgenmoderator in der Menge. »Das finden die Hörer nicht lustig.«
»Also, ich fand es schon ganz lustig«, wagte sich Melanie vor.
Wir drehten unsere Köpfe erstaunt nach rechts zu dem Platz, auf dem unsere Chefin vom Dienst saß. Ich schaute sie flehentlich an, sich nicht wieder mit ihm anzulegen. Melanie hatte zwei Kinder, die sich oft darüber beschwerten, dass sie ihre arbeitende Mutter zu selten sahen. Ich wollte nicht, dass die beiden sich bald darüber beschwerten, dass sie ihre Mutter zu häufig sahen. So ein Zeitvertrag war schnell gekündigt. Das kümmerte Melanie gar nicht. Dotz kniff die Augen zusammen und schickte kleine Giftpfeile in ihre Richtung.
»Ich bestimme hier noch immer, was lustig ist und was nicht!«, keifte Dotz. Dies würde ein ganz großer Tag werden, spürte ich.
»Sie haben doch gesagt, wir sollen uns in die Lebenssituation der Hörer denken. Da passt doch ein Sonnenaufgang«, verteidigte Pelske seine Moderation.
Tatsächlich wurde oftmals ein einziger Satz von den unterschiedlichsten Seiten beleuchtet. Sagte der Moderator beispielsweise: »Raus aus den Federn, hoffentlich stehen Sie nicht mit dem linken Fuß auf!«,
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