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Sechs Richtige und eine Falsche: Roman (German Edition)

Sechs Richtige und eine Falsche: Roman (German Edition)

Titel: Sechs Richtige und eine Falsche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Hasselbusch
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konnte man sich schon einmal in großer Konferenzrunde kritisch fragen, ob dieser Satz womöglich zu politisch klang, richtig betont war, sämtliche Altersgruppen ansprach, Langschläfer provozierte oder Linkshänder ausgrenzte. Nun hatten wir also den Sonnenaufgang am Wickel.
    »Viel zu geschmacklos. Und nicht lustig!« Dotz ließ sich nicht abbringen und schaute auf seinen Zettel.
    Die Hälfte der Redaktion hielt die Luft an und hoffte, dass er zum nächsten Punkt käme. Denn die Hälfte der Redaktion hatte keine Ahnung, wovon Dotz redete. Es stand zwar nicht im Arbeitsvertrag, aber unser Chef setzte voraus, dass wir alle die Morgensendung von A bis Z hörten. Ging ja auch erst um fünf Uhr los.
    »Weißt du, was er meint?«, wisperte mir Angela zu. Ich schüttelte unmerklich den Kopf und blickte starr auf einen Fleck auf dem Fußboden. Dotz war alles zuzutrauen, auch dass er uns abfragte. Das hatte ich einmal mitgemacht. Die Moralpredigt danach würde ich nie vergessen. »Nichtsnutze von Möchtegernjournalisten« war da noch die freundlichste Titulierung.
    Wir schienen Glück zu haben. Dotz fuhr mit seinem Finger über seine Notizen. Aber wir hatten die Rechnung ohne den nichtsnutzigsten Möchtegernvolontär Daniel gemacht.
    »Was war denn nun mit dem Sonnenaufgang?«, fragte er naiv in die Runde.
    Wir sackten allesamt sprachlos in uns zusammen. Daniels Frage war in etwa so, als würde jemand zum Thema Finanzkrise fragen: »Wieso, was ist denn mit den Griechen?«, oder zum Thema Innenpolitik: »Wer ist denn eigentlich dieser Steinbrück?« Er hätte auch gleich vor versammelter Menge um einen Strick bitten können.
    Wenn man wusste, dass der Chef einen sowieso schon auf dem Kieker hatte, sollte man
    A: sich dezent im Hintergrund halten,
    B: unauffällig untertauchen,
    C: unmerklich in der Menge verschwinden oder
    D: durch kecke, selten blöde Fragen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
    Daniel würde bei »Wer wird Millionär?« nicht weit kommen. Dotz nahm seine Geierhaltung ein. Ein leicht vorgerecktes Kinn, was verhieß, dass er sich gleich auf sein Aas stürzen würde.
    »Was es mit dem Sonnenaufgang auf sich hat, Herr Kellwig?« Ich schwöre, dies war der erste Nachname eines Praktikanten oder Auszubildenden, den er sich merken konnte. Vielleicht hatte Dotz Nachhilfe in einem Mercedes-Seminar bekommen. Beim Versuch, ein Lachen zu unterdrücken, stieß ich ein kurzes Grunzen aus.
    »Frau Claussen, war das eine Wortmeldung? Bringen Sie unseren Volontär doch kurz auf den aktuellen Stand.«
    Ich würde ihn später mit einem Kabel erdrosseln. Wahlweise Motz oder Daniel. Ich hatte keine Ahnung, was Pelske über den blöden Sonnenaufgang gesagt hatte. Anstatt das Radio anzumachen, hatte ich heute Morgen Ulf angemacht, was offenbar ein Fehler gewesen war.
    »Na ja, die Sonne steht jeden Morgen früher auf. Genau wie unsere Hörer?«, improvisierte ich.
    »Netter Versuch. Wollen Sie morgen früh moderieren? Warum eigentlich nicht? Ach nein, für Sie habe ich ja was anderes.« Was er denn anderes für mich hatte, erfuhr ich nicht. Wie zuletzt im Matheunterricht erlebt, fragte er noch zwei weitere Kollegen, die den Sonnenaufgang auch verpasst hatten. »Sehen Sie, Pelske, die sind auch alle eingeschlafen bei Ihren Witzchen.« Mir platzte allmählich die Hutschnur.
    »Nun sag schon, was hast du denn gesagt?« Pelske holte Luft.
    »Nach der Uhrzeit habe ich gesagt, dass jetzt Sonnenaufgang ist, und dann meinte ich: Mit Sonnenaufgängen ist es wie mit cholerischen Chefs: Kennste einen, kennste alle!«
    Angela neben mir lachte als Erste auf, ich schloss mich sofort an. Auch die anderen grinsten, obwohl Dotz mit jedem Lacher mürrischer wurde. Melanie stieß Pelske aufmunternd in die Seite, was so viel bedeutete wie: »Siehste, sag ich’s doch! Sehr lustig.«
    Dotz reichte es. Er klopfte lautstark auf den Tisch und schrie aus Leibeskräften: »Das ist nicht lustig!«

Auf dem höchsten Thron der Welt
sitzen wir doch nur auf unserem Hintern.
    Michel de Montaigne
    »Sie gehen zum Deutschen Radiopreis, als unsere Top-Promi-Reporterin.« Ich glaubte, nicht recht zu hören.
    Dotz hatte die Konferenz frühzeitig abgebrochen und mich in sein Büro zitiert. Dort informierte er mich über meinen anstehenden Job beim Radiopreis, dem Top-Event in Hamburg. Mal ganz abgesehen davon, dass aus unserer Redaktion niemand nominiert war für den Preis, war es bisher Dotz höchstpersönlich vorbehalten gewesen, einen von zwei Plätzen für

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