Sechs Richtige und eine Falsche: Roman (German Edition)
ging triumphierend an mir vorbei. Was hatte ich dem eigentlich getan? Der war zwölf Jahre jünger als ich und spielte sich auf, als würde ihm der ganze Laden hier demnächst gehören. Oh mein Gott, das war gar nicht so unrealistisch. Aber ich, Jule Claussen, die Rächerin der enterbten Reporter, würde ihm eins auswischen.
Ich hatte alles minutiös vorbereitet. Den Anruf von Frau Schneider im Computer zurechtgeschnitten und im Themenfeld beschriftet. Dort stand jetzt: Umzugsumfrage. Denn Daniel, das musste ich ihm lassen, hatte tatsächlich ein paar Leute innerhalb der Redaktion zu ihren Umzügen und dem Stress damit befragt. Da waren teils ganz witzige Antworten gekommen, was mir auch wieder nicht passte.
Mein Plan stand. Wenn Daniel ins Studio ging, würde ich seine Umzugsumfrage, die er in den Sendeablaufplan im Computer geschoben hatte, austauschen. André würde live im entscheidendenMoment nicht die Redaktionsmitglieder und ihre Geschichten abfahren, sondern den Ton von Frau Schneider, die im Radio keifend über Daniel herziehen und preisgeben würde, dass die beiden etwas miteinander hatten. Ehe er sich’s versah, wäre seine Karriere verpfuscht, malte ich mir aus. Über mögliche Konsequenzen für mich machte ich mir keine Gedanken. Zwar überlegte ich kurz, seit wann ich so gehässig war, schob es aber auf meine unglücklichen Privatumstände.
»Hast du mein Skript gesehen?« Daniel eilte aufgeregt zu seinem Schreibtisch. Er fühlte sich ganz, ganz großartig. Ich platzierte mich neben ihn und ließ unbemerkt sein iPhone in seiner Jackettasche verschwinden. Er schnappte sich das Skript, das von Melanie abgenickt worden war. Dann ging er in Richtung Studio. Das war mein Moment. Mir würden nur knapp dreißig Sekunden bleiben, um den Umfrage-Ton gegen das Millionärsgattinnen-Geschimpfe auszutauschen. Dreißig Sekunden, um Daniel bloßzustellen. Wie hatte der sich bei unserem Interview bei den Schneiders aufgespielt. Irgendwas musste wohl an ihm sein, sonst hätte die blöde Kuh doch gar nicht erst angebissen. Ich klickte mich ins Menü für den Sendeablaufplan und markierte meinen gefälschten Beitrag. Bevor ich ihn verschieben konnte, meldete sich mein Handy zu Wort. Die Neugier siegte über die Eile. Eine WhatsApp von Markus.
»Ich habe übrigens großes Glück, dass du mir noch ein Zusatzspiel ermöglichst!«, las ich. Daraufhin tat ich zwei Dinge: Ich strahlte. Und ich löschte. Ich löschte meinen Teufels-O-Ton und ließ die Originalumfrage von Daniel drin.
»Ich rette dich«, flüsterte ich huldvoll. Dann dachte ich kurz nach und korrigierte mich: »Ich rette mich!« Was für ein dämlicher Kinderstreich wäre das gewesen. Nein, als Bagatellfall hätte man das nicht abtun können, das wäre schon Schikane gewesen. Völlig unnötig. Daniel würde sich schon irgendwann fachlich selbst disqualifizieren. Oder wirklich den Durchbruchschaffen. Ob mit oder ohne Angelvater. Ich wollte ihm nicht im Weg stehen, also zumindest nicht so fies. Aber eine klitzekleine Abreibung hatte er schon verdient.
Ich drehte das Radio etwas lauter und hörte, dass das Live-Gespräch begann. Dotz stand ebenfalls in der Redaktion und lauschte. Zum Ende des Talks hob ich unauffällig den Hörer des Redaktionstelefons und wählte Daniels Handynummer. Kurz darauf klingelte es. Live im Radio. Denn Daniels Handy steckte in der Tasche seines Jackets, und das hatte er im Studio an.
Dotz ging sofort an die Decke.
»Hat der Idiot etwa vergessen, sein Handy leise zu stellen? Dem werde ich was erzählen.« Eines der schlimmsten Vergehen neben dem Wegfall der Frikadellen in der Kantine.
André hatte gerade im Radio Daniel spielerisch ermahnt und auf das Klingeln des Handys aufmerksam gemacht. Anstatt ins Stammeln zu geraten, weil er dachte, sein Handy sei draußen an seinem Platz, blieb unser Volontär cool und sagte: »Das ist wahrscheinlich mein Vermieter. Er wollte sich sofort melden, wenn ich in die neue Wohnung kann.«
Dotz klatschte in die Hände. »Das ist grandios. Der Kerl ist gut. Der ist witzig!«
Als Daniel peinlich berührt das Studio verließ und auf Dotz’ Standpauke wartete, rief der ihm entgegen: »War das abgesprochen?«
Daniel überlegte kurz und antwortete. »Na ja, so ungefähr.«
»Weiter so!«, sagte Dotz und ging zufrieden aus der Redaktion.
Man konnte das Unglück anderer eben nicht erzwingen, musste ich neidlos anerkennen. Was sollte ich mit dem explosiven Liebhaber-O-Ton anstellen? Ich könnte ihn
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