Sechs Richtige und eine Falsche: Roman (German Edition)
Moment das »Piazza« betrat. Ich setzte mich gerade hin.
»Die Chance, im Lotto zu gewinnen, ist also sehr gering. Wenn Sie das wissen, dann sage ich Ihnen jetzt noch was, Sie scheinen sich mit Zahlen ja offenbar sehr gut auszukennen.« Mein Ton klang genauso schneidend, wie ich ihn auf dem Weg hierher geprobt hatte. »Die Wahrscheinlichkeit, im Lotto eine Tochter zu gewinnen, um die man sich bisher nie gekümmert hat und deren Geld man jetzt einsacken will, liegt bei null Komma null!« Ich ließ den Satz einen Moment wirken.
»Wie bitte? Ich verstehe nicht ganz«, sagte der Mann, der sich mir als Markus Röck vorgestellt hatte und dessen wirklichen Namenich gar nicht wissen wollte. »Denken Sie etwa, ich bin, äh, also Ihr Vater?« Er sah mich erstaunt an, und ich geriet ins Zweifeln.
»Ja, sind Sie das etwa nicht?« Urplötzlich war ich unsicher. Alles hatte so gut gepasst. Er mit Mama und mir auf einem Foto … »Aber Sie sind doch auf dem Foto!« Ich knallte ihm das Bild vor die Nase.
»Ja, ich kannte deine, äh, Ihre Mutter auch, aber ich hatte doch nichts mit ihr.« Er schien wirklich aufrichtig. Zwar wollte er mich finanziell übers Ohr hauen, aber nicht emotional. Immerhin.
»Er hat recht, Jule. Er ist nicht dein Vater!« Eine leise Stimme hinter mir ließ mich aufschrecken. Carl war ganz dicht hinter mich getreten. Ich drehte mich um und sah ihn anklagend an.
»Aber du hast mir doch gesagt, dass er das war.«
»Ja, aber ich meinte doch damit nur, dass er der vom Foto war. Also der, der an dein Geld wollte.«
Ruckartig wandte ich mich wieder dem falschen Markus Röck zu. »Ja, was sollte das überhaupt?«
Kleinlaut gab der Mann zu, dass er meinen Namen im Radio gehört, sich an meine Mutter erinnert, mich und den echten Markus Röck beobachtet und sich dann diese Sache ausgedacht hatte.
»Das ist ja total hinterhältig!«, warf ich ihm an den Kopf. Ich klang total harmlos! Hatte ich keine besseren Schimpfwörter auf Lager?
»Ja, das stimmt. Es tut mir leid.« Er blickte ängstlich zu Carl. »Der konnte mich früher schon nicht ab. Und bei deiner Mutter bin ich auch nicht gelandet. War alles sehr kompliziert.« Das glaubte ich, die Details wollte ich gar nicht wissen. Es war schon heftig genug, zu erfahren, dass der Vater, dem man den Laufpass hatte geben wollen, gar nicht der eigene Vater war. Selbst wenn er ein egoistischer, raffgieriger, gewissenloser Kerl war, so hätte ich doch zumindest endlich einen Vater gehabt. Einen Arschloch-Vater.Hatten viele andere auch. Ich hatte gar keinen und war nun wieder bei null.
Ich winkte entnervt ab und ging zur Toilette, weil ich nicht wollte, dass jemand meine Tränen sah. Als ich zurückkam, war der falsche Vater / der falsche Röck aus dem Laden und aus meinem Leben verschwunden.
»Na, willst du einen Kakao?« Carl war hinter mich getreten und berührte ganz sachte meine Schulter.
»Nö, ich nehm noch einmal so einen geeisten Wein.« Der hatte mir gestern schon so gut geschmeckt!
Mario kam und nahm die Bestellung auf. Nur langsam realisierte ich, was alles passiert war. Frau Resche war gestorben und mein eingebildeter Vater gewissermaßen auch.
»Jetzt ist sie also tot!«, sagte Carl und nippte an seinem Bier.
»Ja, jetzt ist sie tot«, wiederholte Kaschi, der zu uns gestoßen war.
Wir alle waren nicht in der besten mentalen Verfassung. Deswegen fiel mir erst viel später auf, dass mich etwas wunderte. Als wir schon lange über die Umstände des Todes von Maria Resche und die Bestattung gesprochen hatten.
Die beiden fragten mich, ob ich kommen wollte. Ich überlegte kurz und bejahte. Maria Resche war auch auf der Beerdigung meiner Mutter gewesen.
»Kanntest du Frau Resche denn auch?«, fragte ich Kaschi. Er zuckte nur kurz mit den Schultern.
»Na ja, ein paarmal gesehen, als ich bei Carl war.« Carl stocherte derweil unbeteiligt in den Oliven.
»Was passiert denn nun eigentlich mit Bonny?« Ich konnte mir schlecht vorstellen, dass Carl Lust hatte, sich um einen Hund zu kümmern. »Wo ist sie denn jetzt?«
»Drüben in der Wohnung.« Carl schmeckten die Oliven. Er sprach mit vollem Mund und hörte gar nicht mehr auf, dieschwarzen runden Dinger, eines nach dem anderen, zu verspeisen.
»Ich würde Bonny gerne nehmen!«, bot Kaschi an. Carl schaute kurz vom Olivenschälchen auf und nickte.
»Das ist eine gute Idee!«, sagte er. Kaschi lächelte. Die Sache war geritzt.
So viel hatte ich in den vergangenen Jahrzehnten nicht über Maria Resche
Weitere Kostenlose Bücher