Sechs, Sieben, Cache! | Ein Hildesheim-Krimi
Seesternchen.“
Sie nickte mit zusammengekniffenen Lippen und arbeitete weiter.
Als sie die letzte Klappe öffnete, stand Gabriel Sola schräg hinter ihr und er sah, wahrscheinlich eher als sie, die Blaufärbung der Haut des vierten Babys. Er wollte sie zur Seite schieben, doch sie wehrte sich. „Was soll das?“
Dann versteifte sie sich, zog das Kind heraus. Er sah, wie sie in Wellen zu zittern begann. Als sie sich zu ihm herumdrehte, war sie kreidebleich. „Es ist tot!“ Er hörte die Anklage in ihrer Stimme.
Glücklicherweise ahnte sie nicht, welche Flüche ihm auf den Lippen brannten.
„Gib es mir. Ich kümmere mich darum.“ Er sprach so sanft wie er konnte.
„Was willst du tun?“
„Ich bestatte es unter den Eiben.“
„Und dann?“
„Wie und dann?“
„Du musst das melden. Irgendwer hat einen Fehler gemacht. Gabriel, du musst dafür sorgen, dass so etwas nicht noch einmal passiert.“
„Selbstverständlich“, sagte er. Doch mit seinen Gedanken war er ganz woanders. Das waren fünfundzwanzigtausend Euro, die da flöten gingen. Außerdem war die Kundin bereits angereist. Puta madre! Sola erschrak. Er durfte sich nicht aufregen. Er hatte Südamerika vor so vielen Jahren verlassen, dass er kaum noch einer spanischen Soap im Fernsehen folgen konnte. Wenn allerdings die spanischen Flüche seines Vaters in seinem Kopf auftauchten, musste er sich vorsehen.
Er war wie die Muräne im Riff. Schnell. Erbarmungslos. Nah dran. Tödlich, so gut wie unsichtbar und eiskalt
„Gib schon her. Da kannst du nichts mehr bewirken. Widme dich den anderen dreien.“
Eine Träne glitzerte an Jankas Wimpern. Er wischte sie ab, nahm ihr die Ware ab und verließ den Raum.
Selbstverständlich beabsichtigte er nicht, den Leichnam im Park zu vergraben. Die Gefahr, dass irgendein Tier die Knochen ausbuddelte und in der Gegend herumzerrte, war viel zu groß.
Plötzlich war die Idee da. Er konnte nicht sagen, woher sie gekommen war. Zuerst schob er sie weg, doch sie blieb hartnäckig, drängte sich immer wieder in sein Bewusstsein. Er wendete sie hin und her, seufzte und beschloss, sie umzusetzen.
Er lächelte.
Für dich, Lisa Grundberg.
45
Alfeld, Mittwoch, der 14.9.2011
Lisa Grundberg weckte ihren PC auf und rief die E-Mails ab. Jede Menge Werbung, eine Nachricht von ihrer Mutter, auf die sie gar keine Lust hatte, da sie den Titel trug: ‚Wann kommst du mal wieder nach Kassel?‘. Auch die Facebookbenachrichtigungen löschte sie unbesehen. Da war die Mitteilung, auf die sie gewartet hatte. Frank hatte sich gemeldet. So, wie er es früher öfter getan hatte. Gelegentlich gab es Fälle, die man mit nach Hause nahm, die einen nicht losließen.
Während sie dazu neigte, eine Runde spazieren zu gehen, setzte er sich an seinen Rechner und suchte im Internet, intuitiv, irgendetwas. Er ließ sich von Link zu Link treiben, hüpfte von Stichwort zu Stichwort, und irgendwie ergab sich irgendwann ein Zusammenhang.
Auch diesmal hatte er ihr einen Link geschickt.
Sie klickte ihn an. Unvermittelt baute sich das Bild des Gorillas auf.
„Wo hast du das denn her, mein Freund?“, fragte sie sich selbst. Schnell stellte sie fest, dass dieser Mann Jens Rehbeck hieß und diese Aufnahme 2008 nach einem Fußballspiel auf Schalke von den Überwachungskameras aufgezeichnet worden war, weil der Mann in einem Block gesessen hatte, in dem randaliert worden war. Man konnte ihm persönlich nichts nachweisen, was Lisa nicht verwunderte.
„Gut gemacht, danke!“, tippte sie in ihre Antwort.
Erst als sie das Foto auf ihrem Desktop speichern wollte, fiel ihr auf, dass da nicht ihr gewohntes Hintergrundbild zu sehen war.
Was war das?
Sie beugte sich vor und begriff.
Der Finger.
Der abgetrennte Finger.
Nein, halt, das abgetrennte oberste Fingerglied.
Franks?
Schon wieder!
Wie kam der auf ihren Desktop?
Die Härchen in ihrem Nacken stellten sich auf. Sie schaute sich prüfend um.
Natürlich stand da niemand.
Sie unterdrückte den Impuls aufzuspringen und ihre Wohnung zu kontrollieren.
Okay, ganz ruhig. Sie schaltete ihren Rechner so gut wie nie aus. Passwortgeschützt hatte sie ihn ebenfalls nicht.
War es möglich, dass der Eindringling ihren PC schon am Donnerstag manipuliert hatte?
Durchaus.
Hatte sie ihn seither benutzt? Sie konnte sich nicht erinnern. Also eher nicht.
Hektisch schaute sie über den Bildschirm. Gab es noch eine Veränderung?
Sie entdeckte den Ordner erst beim zweiten Durchgang. Einen Augenblick
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