Sechseckwelt 01 - Die Sechseck-Welt
Schiff verfügte über ein Dutzend Kabinen –, da Frachtverkehr viel billiger war als Passagierdienst, und einfacher dazu, wenn man sein Ziel möglichst schnell erreichen wollte. Auf jeden Passagierflug nahezu überallhin kamen tausend Frachtflüge.
Die Besatzung bestand allein aus Brazil. Die Schiffe waren jetzt automatisiert, so daß er nur für den Fall eines Defekts da war. Nahrung für alle war vor dem Start zubereitet und in die automatische Küche eingegeben worden. Bei den Gelegenheiten, wenn jemand außerhalb seiner Kajüte oder mit dem Kapitän essen wollte, benützte man eine winzige Messe.
In Wahrheit betrachteten die Passagiere ihn mit größerer Verachtung, als er sie. In einem Zeitalter extremer Anpassung waren Männer wie Nathan Brazil die Außenseiter, die Einzelgänger, diejenigen, welche nicht dazupaßten. Rekrutiert meist von den Barbarenwelten der Grenzbereiche, konnten sie die Einsamkeit ertragen, die endlosen Wochen oft ohne menschliche Gesellschaft. Die meisten Psychologen bezeichneten sie als Soziopathen, Menschen, die sich der Gesellschaft entfremdet hatten.
Brazil mochte die Menschen durchaus, aber nicht die fabrikgefertigten. Er saß lieber hier in seinem Reich, die Sterne auf den großen dreidimensionalen Schirmen vor sich, und dachte darüber nach, warum die Gesellschaft sich ihm entfremdet hatte.
Er war ein kleiner Mann, ungefähr 1,70 m groß, schmächtig und dünn. Er hatte eine dunkle Haut. Zwei funkelnde, braune Augen flankierten eine auffallende Römernase über einem Mund, der sehr breit, dehnbar und voller Zähne war. Sein schwarzes Haar hing lang auf die Schultern herab, war aber strähnig und fett und nicht sauber. Er hatte einen dünnen Schnurrbart und einen noch dünneren Vollbart, der aussah, als habe jemand versucht, eine dichte Haarbürste wachsen zu lassen, aber ohne Erfolg. Er trug einen weiten, grellbunten Kittel, eine dazu passende Hose und Sandalen von widerwärtigem Grün.
Die Passagiere hatten, wie er wußte, eine Heidenangst vor ihm, und das gefiel ihm. Leider würden sie noch fast dreißig Tage unterwegs sein, und Langeweile und Beengung würden sie früher oder später dazu treiben, daß sie sich irgendwo einmischten und auf seinem Schoß landeten.
Ach was, dachte er. Hol sie ruhig alle zusammen. Sie haben lange genug in dem kleinen Aufenthaltsraum im Heck gekauert.
Er betätigte einen Hebel über sich.
»Der Kapitän«, erklärte er mit Tenorstimme, die trotzdem einen rauhen Unterton hatte, so daß sie ein wenig schroff und unabsichtlich sarkastisch klang, »ersucht heute um das Vergnügen Ihrer Gesellschaft beim Abendessen. Wenn Sie wollen, können Sie in dreißig Minuten zu mir in die Messe kommen. Denken Sie sich nichts dabei, wenn Sie keine Lust haben. Ich tue es auch nicht«, schloß er und schaltete den Lautsprecher ab, während er leise in sich hineinlachte.
Warum mache ich das? fragte er sich zum hundertsten – oder zum tausendsten? – Mal. Neun Tage lang jage ich sie herum, tyrannisiere sie und sehe von ihnen so wenig wie möglich. Und wenn ich anfange, gesellig zu sein, geht es daneben.
Er seufzte, streckte die Hand aus und wählte die Speisen an. Jetzt würden sie kommen oder hungern müssen. Er kratzte sich zerstreut und fragte sich, ob er vor dem Essen duschen sollte oder nicht. Nein, entschied er, ich habe erst vor fünf Tagen geduscht; ich nehme einfach ein Deodorant.
Er griff nach dem Buch, das er mit Unterbrechungen gerade las, eine blutige Romanze auf irgendeinem fernen Planeten, vor Jahrhunderten veröffentlicht und von einer überraschten und zufriedenen Bibliothekarin für ihn als Faksimileausgabe hergestellt.
Er nannte Bibliothekare seine Geheimagenten, weil er zu den ganz wenigen Leuten gehörte, die überhaupt Bücher lasen. Bibliotheken waren gewöhnlich Einzeleinrichtungen auf Planeten und wurden nur von sehr wenigen Leuten aufgesucht. Niemand schrieb mehr Bücher, dachte er, nicht einmal diesen Mist hier. Was man an Informationen brauchte, bezog man aus dem Computeranschluß in jedem Haushalt; selbst davon war die übergroße Mehrheit Sprachgeräte, die Fragen beantworteten. Nur die Technokraten mußten lesen.
Nur Barbaren und Wanderer lasen noch.
Und Bibliothekare.
Alle anderen brauchten lediglich einen Schalter zu drehen, um eine volle, dreidimensionale Bild-Ton-und-Geruchs-Schöpfung ihrer eigenen Phantasie oder die einer vom Staat ausgewählten Mannschaft hingebungsvoller Phantasten zu erleben.
Langweiliger
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