Sechseckwelt 02 - Exil Sechseck-Welt
mit einem entsprechend kräftigen Körper.
»Bleib auf dem Bett, Nikki«, warnte er. »Sie kommt zu sich, und ich will nicht, daß dir etwas passiert.«
Mavra spürte ein Prickeln, als kehre die vorübergehend unterbrochene Durchblutung zurück. Ihre Augen schmerzten, und sie vermochte zu blinzeln, immer wieder, bis Tränen der Erleichterung rannen. Sie war mit offenen Augen erstarrt.
Sie schüttelte ein wenig den Kopf, um klar zu werden, dann sah sie den Aufseher an.
»Also gut, Frau – oder was Sie sonst sein mögen –, was machen Sie hier und wie sind Sie hergekommen?« fragte der Aufseher.
Mavra hustete ein wenig.
»Ich bin Mavra Tschang«, entgegnete sie. »Ich bin beauftragt worden, Nikki von Neu-Pompeii vor dem großen Test fortzuholen.«
Es hatte keinen Sinn zu lügen.
»Mein Vater hat Sie geschickt, nicht wahr?« sagte Nikki stockend.
»In gewisser Beziehung«, erwiderte Mavra. »Ohne Sie kann man keinen Druck auf ihn ausüben.«
»Sie Miststück!« sagte der Aufseher zornig. »Sie sind eine dreckige Ratte! Ihr Vater hätte Sie nie geschickt! Er weiß, daß Nikki dem Schwamm erliegt, wenn sie von hier fortgeht!«
Nikkis Kühnheit und die offenkundige Sorge des Aufsehers munterten Mavra auf. Wie oft in Entführungsfällen hatten Bewacher und Gefangene sich angefreundet. Daraus konnte man manchmal Nutzen ziehen. Sie beschloß, es mit der ganzen Wahrheit zu versuchen. Die Zeit lief ohnehin ab, und sie hatte wenig zu verlieren.
»Hören Sie«, sagte sie, »ich will ganz offen sein. Der Versuch wird nicht so laufen, wie Trelig glaubt. Zinder hat ihm einiges vorenthalten. Wenn die Anlage eingeschaltet wird, besteht die große Gefahr, daß sie die kleine Welt hier zerstört. Ich habe genug Schwamm in meinem außerhalb geparkten Kreuzer, um ihr zu geben, was sie braucht, und ich kann ein Gegenmittel herstellen.«
»O gut! Aber Sie müssen Daddy retten!« rief Nikki.
Der Aufseher überlegte kurz, aber bevor er reagieren konnte, kamen schwere Schritte die Treppe herunter, und eine Gestalt stürmte mit gezogener Pistole in den Raum.
Sie war volle zwei Meter groß, muskulös, dicht behaart und schreckenerregend. Der Mann sah, daß der Aufseher die Lage beherrschte, und blickte auf Mavra hinunter.
»Ah, Halbmensch, du hast die Beute erwischt«, knurrte er mit der tiefsten, sonorsten Baßstimme, die Mavra je gehört hatte.
Nikkis Miene verriet Entsetzen.
»Aus dem Weg, Ziggy!« sagte der Aufseher leise.
Der große Mann zog die Nase hoch.
»Ach, Mist! Was kann das winzige Ding jetzt noch anstellen? Ich bringe sie auf die harte Weise um und stoße ihr ein Loch in den Bauch«, prahlte er.
»Aus dem Weg!« wiederholte der Aufseher.
Statt dessen ging der andere auf Mavra zu, streckte seine riesige behaarte Hand aus, hob ihr Gesicht und strich ihr über Wange und Hals.
Mavra ballte die linke Hand und spürte, wie das Gift in ihre Fingerspitzen stieg. Alle fünf für ihn, in zwei Sekunden, dachte sie.
Sie wollte handeln, als sie plötzlich ein schrilles Heulen hörte. Der große Mann schrie auf, schien zu erstarren und stürzte zu Boden. Mavra sprang schnell zur Seite, um nicht unter dem Muskelberg begraben zu werden.
Der Aufseher seufzte und richtete die Pistole wieder auf Mavra. Sie war zu betäubt gewesen, um den Augenblick zu nutzen.
»Ist das wahr, was Sie sagen?« fragte der Aufseher. »Sie haben Schwamm und auch ein Gegenmittel?«
Mavra nickte stumm.
»Auffangen!« sagte der Aufseher und warf ihr die Pistole zu.
Sie fing sie auf und steckte sie unsicher ein.
»Sie wissen nicht zufällig, wie spät es ist?« fragte sie tonlos. Der Aufseher blickte auf eine Stelle an der Rückseite seines Halfters.
»Elf Uhr vierzehn«, erwiderte er.
»Dann los!« sagte sie scharf. »Wir haben genau noch sechzehn Minuten, um ein Raumschiff zu stehlen.«
Unterwegs bewegte Mavra den Aufseher, der Renard hieß, dazu, über Funk durchzugeben, daß die Flüchtige gefaßt sei und im Aufseherquartier festgehalten werde. Trelig bestätigte den Empfang und befahl, sie zu ihm zu bringen.
Sie näherten sich dem Raumflughafen. Nikki war erst einige Tage zuvor von Ben behandelt worden, war aber immer noch sehr dick und langsam. Es war nicht zu ändern; ohne sie konnte Mavra nicht starten.
Auf dem Raumflughafen war alles still.
»Eine Aufseherin, Marta, im Gebäude, das ist alles«, sagte Renard. »Trelig sagt sich, daß Sie ohnehin abgeschossen werden, selbst wenn Sie ein Raumschiff stehlen könnten. Aber Sie kommen
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