Sechseckwelt 02 - Exil Sechseck-Welt
aber Obie war viel mehr als eine Maschine.
»Ich fürchte, nein, jedenfalls nicht im Augenblick. Der große Spiegel ist im Kontakt mit dem Schacht erstarrt – dem gigantischen Markovier-Computer, der die Welt dort unten betreibt. Ich kann ihn im Augenblick nicht beeinflussen. Es kann eine Weile dauern – Tage, Wochen, sogar Jahre –, bis ich einen Weg finde, mich loszumachen, wenn es überhaupt einen gibt. Und was den kleinen Spiegel angeht – Trelig ist kein Dummkopf. Er ist gegangen, aber zuerst hat er Abwehrmechanismen in Betrieb genommen, auf die ich keinen Einfluß habe. Wenn ich den großen Spiegel hätte, könnte ich sie ausschalten, aber das ist nicht der Fall. Jeder, der versucht, in den kleinen Raum zu gelangen, muß zuerst über die Brücke im Schacht. Die Brücke wird den Tod bedeuten, wenn Treligs Code nicht genannt wird, und den kenne ich nicht.«
»Kannst du dann verhindern, daß jemand anderer alles zerstört?«
»Ich denke schon. Ich muß Strom durch die Schachtwände leiten. Das sollte jeden daran hindern, auf die Brücke zu treten.«
»Gut, Obie, ich muß wohl hin und Treligs edlen Hals retten«, sagte sie und schaltete auf Schub. Der neue Mond, der Neu-Pompeii geworden war, befand sich hinter dem fremden Planeten, und sie gab einen Abfangvektor ein.
»Warte! Nicht!« rief Obies Stimme. »Abbrechen! Sie müssen unter Neu-Pompeii hereinkommen, wenn Sie die Oberseite erreichen wollen, und dabei geraten Sie zu nahe an die Schachtwelt heran.«
Aber es war zu spät. Das Raumschiff flog bereits auf den Planeten zu, spürte die Zugkraft und benützte sie, um auf die andere Seite herumzufegen.
Hier bot sich ein unfaßbarer Anblick. Die Welt schimmerte aus der Nähe wie ein Traumgebilde und glich trotzdem einem riesigen, fremdartigen Juwel. Sie war auf irgendeine Weise facettiert ; zahllose sechseckige Facetten irgendeiner Art, und unter dem, was die Facettierung hervorrief, die Andeutung von weiten Meeren, Gebirgen und grünen Flächen, über denen Wolken dahinfegten. Das heißt, so sah es unterhalb des Äquators aus. Der Äquator selbst wirkte seltsam, wie für den Globus eines Kindes entworfen. Ein dicker Streifen, halb durchsichtig, aber mit Bernsteinfärbung, zog sich wie ein breites Plastikband um die Welt. Der Norden – auch er zeigte sechseckige Facetten, aber die Landschaften dort enthielten nichts Vertrautes; er war unheimlich, öde, fremdartig. Auch die Pole sahen sonderbar aus – weite Flächen, doch von nichtspiegelnder Dunkelheit, beinahe so, als gäbe es sie gar nicht.
Der Anblick bannte sie fest. Und Schub und Brennschluß waren vorher eingegeben worden. Um wegzukommen, würde Mavra ohnehin tangential zum Äquator herumfliegen müssen.
» Zu spät! Zu spät! « klagte Obie. »Schnell! Alle rasch in die Rettungskapseln!«
Mavra war verwirrt. Alles schien normal zu sein, und plötzlich sah sie Neu-Pompeii, halb grün und glänzend, halb mit dem großen Spiegel überzogen.
»Tun wir lieber, was er sagt«, meinte Renard hastig. »Wo ist das Rettungsboot? Ich hole Nikki.«
»Bringen Sie sie her«, sagte Mavra. »Wenn etwas schiefgeht, dichtet sich die Brücke ab.«
Als Renard nach hinten eilte, schwebte das kleine Schiff auf Neu-Pompeii zu, und Mavra konnte keine Gefahr erkennen.
»Verdammt, mir fehlt nichts!« hörte sie Nikki schreien. Sie drehte sich um, als das Mädchen zornig hereinkam, gefolgt von Renard.
»Ihr Vater ist am Leben, Nikki«, sagte Mavra. »Ich stehe in Verbindung mit Obie. Vielleicht –«
In diesem Augenblick erzitterte das Schiff, und die ganze Elektronik, einschließlich der Beleuchtung, flackerte und erlosch.
»Was ist denn?« Mavra betätigte verzweifelt Schalter und Tastaturen. Die Brücke war stockdunkel, man hörte kein Motorengeräusch, kein Summen. Selbst Notbeleuchtung und Sicherheitssteuerung waren ausgefallen, obwohl das gar nicht sein konnte.
»Renard!« rief sie. »Setzen Sie Nikki in Ihren Sessel, und Sie kommen mit in meinen! Ich glaube, wir passen zu zweit hinein. Nikki! Anschnallen, so fest es geht!«
»Wa – was ist denn?« rief das Mädchen.
»Tun Sie, was ich sage! Schnell! Aus irgendeinem Grund ist alles ausgefallen, sogar die Notsteuerung! Wir sind zu nah am Planeten! Wenn wir keinen Strom bekommen –«
Sie hörte, wie Nikki in den Sessel stolperte. Sie spürte Renards Hand an ihrem Gesicht. Ihre eigenen Augen, von Obie verändert, nahmen im Infrarotbereich die beiden wahr. Sonst gab es auf der Brücke keine
Weitere Kostenlose Bücher