Sechseckwelt 03 - Entscheidung in der Sechseck-Welt
befanden sie sich in der Nähe eines Feldes mit, wie es schien, fast reifem Mais, und das war für sie wie Weihnachten, zumal ein hier und dort abgefressener Kolben nicht auffallen und die Vegetation gute Tarnung bieten würde.
In der dritten Nacht hörten sie von weitem das Brausen und Peitschen der Brandung, und Joshi konnte es kaum ertragen, als sie eine Klippe erreichten, in die Dunkelheit hinausstarrten und die salzige Luft rochen. Das war die Ostseite des Meeres von Turagin, aber sie fühlten sich an ihre Heimat erinnert.
Blinkende Lichter in Strandnähe kennzeichneten gefährliche Riffe, und Leuchttürme mit grellen Strahlen warnten vor weitreichenderen Gefahren.
Sie ließen Anblick und Gerüche eine Weile auf sich einwirken, aber Mavra tat es mit gemischten Gefühlen. Die See bot einen seltsamen Widerspruch. Da war Freiheit, Erlösung, Entkommen – und ein fast unüberwindliches Hindernis zugleich. Auf der anderen Seite lagen die Wasser-Hexagons. Dies war vermutlich Zanti, das nach Twosh führte. Das lag von ihrem Ziel zu weit ab. Dahinter befand sich Yimsk, das zu Mucrol führte, neben Gedemondas, aber auch neben dem Spinnen-Hex Shamozan, das mit Ortega zusammenarbeitete. Im Norden lag Alestol mit seinen tödliches Gas ausstoßenden Pflanzen. Sie mußten noch Hunderte von Kilometern Sumpfland durchqueren, um nach Mucrol zu gelangen, und mindestens eine Hex-Seite nach Gedemondas. Dabei schien ihr Ziel so nah zu sein, knapp außer Reichweite.
Joshi erriet Mavras Gedanken.
»Was nun?« fragte er.
Was nun? fragte sie sich selbst. Wenn ihr Gedächtnis sie nicht im Stich ließ, bedeuteten diese Lichter, daß sie sich knapp nördlich des Haupthafens von Wuckl befanden, genau dort, wo sie die ›Toorine Trader‹ wiedertreffen sollten, wenn alles nach Plan verlaufen war.
Aber wie lange war das her? Welcher Tag, welche Woche, welcher Monat war das? Und selbst wenn sie noch rechtzeitig zur Stelle waren, wie konnten sie an Bord gelangen, ohne aufzufallen, und dann die Besatzung von ihrer wahren Identität überzeugen Nun, dort würde es wenigstens Abfälle geben und einen Platz zum Schlafen.
Sie liefen am Strand entlang nach Süden, und Mavra glaubte, die Stimme des Gedemondas wieder zu hören.
›Du wirst in die Hölle hinabsteigen‹, flüsterte sie. ›Erst dann, wenn die Hoffnung zunichte ist, wirst du erhoben…‹ Die Hoffnung war erst zunichte, wenn man tot war oder es ebensogut sein mochte, dachte sie. Zwei Schweine konnten das den Gedemondas in ihren eisbedeckten Vulkanhöhlen sagen und es ihnen in ihre selbstzufriedenen, allwissenden Gesichter schleudern.
Nahe der Grenze Ecundo – Wuckl
Er hatte wochenlang gesucht, weil er wußte, daß sie da sein mußten. Kurs, Geschwindigkeit und Position der ›Trader‹ hatten ihn davon überzeugt, daß Mavra nur in Ecundo abgesetzt worden sein konnte.
Renard flog in niedriger Höhe über Ecundo und suchte das Gelände ab, wie schon seit über zwei Wochen. Er kannte sie gut genug, um ihre Pläne zu erraten; er hatte die Bundas gesehen.
Was Renard weitertrieb, war sein Vertrauen in die seltsame Frau, die er seit über zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hatte. Sie hatte sich nicht verändert, das bewiesen ihre erfolgreiche Flucht und die Proben ihrer Einfallskraft.
Ein Blick auf die Karte hatte ihn davon überzeugt, daß sie nur ein Ziel haben konnte: Gedemondas. Er war zusammen mit ihr in dem kalten Hex gewesen und hatte beobachtet, wie die Antriebskapsel abgestürzt und explodiert war. Aber niemand, der sich dort aufgehalten hatte, konnte sich erinnern, die geheimnisvollen Gedemondas selbst gesehen zu haben; nur Mavra beharrte darauf, sie nicht nur gesehen zu haben, sondern zusammen mit den anderen auch ihr Gast gewesen zu sein; die seltsamen Schneewesen hätten auf irgendeine Weise die Gehirne aller beeinflußt, nur das ihre nicht.
Manchmal, in seinen Träumen, schien Renard sie zu sehen, und gelegentlich sorgte er sich, sie könnte recht haben – wie stets zuvor. Ein Agitar-Psychiater hatte selbst mit Hilfe der modernsten Techniken keine blockierten Erinnerungen entdecken können und schließlich Renard davon überzeugt, daß er selbst recht habe, nicht Mavra, und daß seine Träume Spiegelungen ihres Wahns seien.
Aber Gedemondas blieb das einzige Ziel, das angesichts ihres Weges Sinn ergab; sie geriet nie in Panik, gab niemals auf und unternahm nie etwas Zielloses.
Die einzige Landverbindung zwischen Ecundo und Wuckl war eine 355 Kilometer lange
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