Sechseckwelt 05 - Dämmerung auf der Sechseck-Welt
oder geschädigt werden, um das zu vermeiden. Die autonomen Funktionen sind nicht betroffen; sie werden von einem anderen Nervensystem auf der anderen Seite des Knorpels gesteuert. Ich habe darauf geachtet, diese Stellen nicht zu verletzen.«
»Sie werden das nicht hinnehmen«, erklärte der Dahir-Priester düster. »Sie werden Brazil für jemanden in einem solchen Zustand nicht austauschen.«
Der Dahbi lachte leise.
»Euer Zauber konnte sie hier zur Statue erstarren lassen. Kann euer Zauber sie nicht auch zum Gehen bringen?«
Der Dahir legte den Kopf ein wenig auf die Seite und dachte nach.
»Aber ja, versteht sich.«
»Und in Zone erneut?«
»Ah!« Die Miene des Priesters hellte sich auf.
»Sehen Sie? Keine Möglichkeit zur Flucht, denn ohne Ihre Zaubersprüche ist sie starr und hilflos. Aussehen wird es aber anders. Das wird mitgeteilt werden, der Austausch wird stattfinden, und die Frau wird nach Dillia zurückkehren.«
»In Dillia wirkt der Zauber nicht«, erklärte der Priester. »Sie wird als hilfloser Krüppel ankommen.«
»Genau«, sagte der Dahbi. »Unsere Abmachung sah vor, daß sie lebend übergeben wird. Nicht mehr. Wir halten unser Wort – buchstabengetreu.«
»Es erscheint aber ein wenig grausam«, meinte der Dahir, ohne den Eindruck zu machen, als störe ihn das.
»Seine Heiligkeit Gunit Sangh, mein Herr, hat mit dem, der sie liebt, eine Rechnung zu begleichen«, teilte der Dahbi mit. »Ihn zu töten, wäre so… endgültig. Und es ginge viel zu schnell. Er ist auch nicht leicht zu töten. Das wird ihn viel mehr zermürben als alles andere. Seine Geliebte für den Rest ihres Lebens ein hilfloser Krüppel und er ein Verräter seiner Sache, an dem Vertrauen, das ihm geschenkt wurde, für immer gebrandmarkt in Geschichte und Legende, ohne daß er dafür etwas bekommen hätte.«
Der Priester nickte bewundernd.
»Unglaublich. Eine Rechnung so zu begleichen, kann nur noch Bewunderung erregen.« Er blickte auf Mavra. »Und wieviel Macht hat sie noch über sich?«
»Sie ist eine Statue, wie aus Stein, vom Hals abwärts«, versicherte ihm der Dahbi. »Sie wird nur Augen, Ohren, Nase und Mund gebrauchen können. Alles andere ist für immer gelähmt.«
»Sie kann also sprechen«, stellte der Priester fest.
»Nur, wenn wir das zulassen«, erwiderte der Dahbi.
Sie erwachte, bevor es hell wurde, und begriff fast augenblicklich, was geschehen sein mußte. Wütend, aus der Fassung gebracht, mit verletztem Stolz, war sie davongegangen und schließlich zum Fluß hinuntergelaufen, wo sie dahingeschlendert war, diesem oder jenem Fußtritte versetzt hatte oder einfach zu den Sternen hinaufgeblickt hatte.
Sie hatten sich nicht einmal gründlich versteckt. Sie wußte, daß vor ihr zwischen den Bäumen Wesen waren, konnte hier und dort eine Bewegung erkennen und sogar Geflüster hören. Man glaubte einfach nicht an eine Gefahr, wenn man von zehntausend eigenen Leuten umgeben war.
Sie hatten irgendeine Betäubungswaffe verwendet, wie man sie bei gefährlichen wilden Tieren benützte, wenn man sie fangen, aber nicht töten wollte. Sie wußte nicht, um welchen Stoff es sich handelte, aber er wirkte jedenfalls sehr rasch; sie hatte den Knall gehört, den Stich gespürt, war herumgefahren und hatte aufschreien wollen, aber zuerst das Gleichgewicht und dann das Bewußtsein verloren; das alles binnen weniger Sekunden.
Sie versuchte sich zu bewegen, um festzustellen, wie sie gefesselt worden war und wo sie sein mochte, stellte aber fest, daß das nicht ging. Es kam ihr plötzlich auf erschreckende Weise so vor, als hätte sie das alles schon einmal erlebt. Auf dieser fremdartigen Welt war sie schon einmal gefangen, gelähmt und in einem Stall untergebracht worden. Damals war sie ein Opfer an den Schacht von jenen gewesen, die ihn anbeteten, und deshalb in ein verunstaltetes Monster verwandelt worden.
Es gab nicht viel Licht hier, aber sie hörte die Bewegungen offenbar großer Tiere. Es lag wohl an den Nachwirkungen der Droge, daß sie immer noch nicht klar denken konnte.
Sie stand da, unfähig, irgend etwas zu tun, und wagte geraume Zeit nicht zu sprechen. Einmal war jemand gekommen, hatte an der Seite eine Tür geöffnet und kurz hereingeschaut, aber die Person war außerhalb ihres Gesichtsfeldes geblieben und nicht hereingekommen. Lange Zeit hatte sie jetzt steif stehenbleiben müssen, während sie sich bemühte, das Grauen in ihrem Inneren zu bekämpfen.
Nun hörte sie ein Rascheln, als bewege sich etwas
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