Sechselauten
Sechseläuten gingen.
Etwas stimmte nicht. Besser, jetzt kein Licht zu machen, dachte der Kommissar. Es war eine dieser brenzligen Situationen, in denen Eschenbach früher seine Waffe gebraucht hatte. Weil er seine SIG 226 aber hin und wieder vergaß und immer dann nicht dabeihatte, wenn er sie benötigt hätte, ließ er es mit der Waffe ganz bleiben. Nur die Übungen schoss er noch; danach gab er sie dem Büchsenmacher, der sie reinigte und bis zum nächsten Mal aufbewahrte.
Es waren andere, die für ihn den wirklich harten Job erledigten. Spezialeinheiten. Trainierte Burschen eben. Jüngere! Vielleicht war er deshalb noch am Leben.
In diesem Augenblick wäre er froh gewesen um ein solches Team. Oder wenigstens um Claudio Jagmetti, dachte der Kommissar. Den hätte er gerne an seiner Seite gehabt. Claudio war nur halb so alt wie er. Hatte seine Pistole immer dabei, glaubte noch daran.
Eschenbach hatte nichts gegen Wohnungstüren, die mittenin der Nacht halb offen standen. Sie gehörten zur Grundausbildung eines Polizeibeamten. Auch im Dunkeln. Man konnte einen Einsatz lernen wie Französischvokabeln. Es gab klare Anweisungen, wie man vorzugehen hatte. Übungsszenarien, die an jeder Polizeischule durchgespielt wurden.
Immer mit Waffe – mindestens zu zweit.
Eschenbach drückte mit dem Fuß die Tür so lange auf, bis der Spalt zu einem halben Meter angewachsen war. Kopf und Oberkörper versuchte er, so gut es ging, in Deckung zu halten. Dann warf er den Schlüsselbund in die dunkle Wohnung. Ein besseres Ablenkungsmanöver war ihm nicht eingefallen.
Dann stieß er die Türe ganz auf. Falls sich jemand dahinter versteckte, würde er es jetzt merken. Da war niemand. Er ging zwei Schritte in die Wohnung hinein, suchte den Lichtschalter und fand ihn. Alles ging sehr schnell.
Aber alles blieb dunkel.
Jemand musste die Sicherungen herausgedreht haben, dachte Eschenbach noch. Da traf ihn schon mit aller Wucht ein Schlag.
Ein Feuerball explodierte in seinem Kopf. Der Kommissar verlor das Bewusstsein.
6
L ara Bischoff atmete tief durch.
Die Anspannung, die ihren Körper in ein Korsett geschnürt hatte, ließ langsam nach. Ihr rechter Unterschenkel begann zu zittern, dann ihr Arm.
Plötzlich spürte sie das Gewicht der Bratpfanne. Es war ein Ungetüm aus Gusseisen. Den langen hölzernen Griff hielt Lara noch immer mit beiden Händen umklammert. »Mein Gott«, stieß sie hervor. Etwas Besseres hätte sie nicht finden können. Zuerst hatte sie an das Brotmesser gedacht. Es war lang, aber stumpf. Doch dann war ihr, als sie dort im Dunkeln gewartet hatte, die Idee mit der Bratpfanne gekommen. Es war ihr schon immer unverständlich gewesen, wie Charlotte mit diesem schweren Gerät überhaupt kochen konnte. »Damit kannst du jemand erschlagen. Nimm besser neue, leichtere … aus Teflon«, hatte sie ihrer Schwester geraten. Und nun war Lara zum ersten Mal froh, dass Charlotte ein so altmodischer Mensch war.
Lara ging zum Sicherungskasten und drehte am Hauptschalter. In der ganzen Wohnung ging das Licht wieder an. Ausgestreckt auf dem Holzboden im Flur, das Gesicht in einer Blutlache: ein Mann. Regungslos.
Im Dunkeln hatte er größer gewirkt, dachte Lara irritiert, irgendwie gefährlicher. So wie er da lag, mit grauer Flanellhose und weißem Hemd, sah er harmlos aus. Einbrecher trugen Schwarz.
Es gab keinen neuen Typen im Leben ihrer Schwester. Charlotte hätte es ihr gesagt. Sie tauschten sich aus, auch darüber. Wer war der Mann also? Warum hatte er nicht geklopft, nichts gesagt? Kein »Hallo« oder so.
Er war heraufgekommen, obwohl sie auf sein Klingeln gar nicht reagiert hatte, mitten in der Nacht.
Die Wohnungstür hatte sie angelehnt, weil sie sehen wollte, wer kam – ob überhaupt jemand kam. Und weil das Licht im Treppenhaus zu früh erloschen war, hatte sie nur die Umrisse erkannt … nur Schritte gehört, und dann seinen Atem, als er vor der Tür innegehalten hatte. Als er plötzlich die Tür aufstieß – und dann der Schuss! Alles spielte sich vor Laras innerem Auge noch einmal ab.
Es war doch ein Schuss gewesen? Eine Waffe mit Schalldämpfer, ein Zischen nur. Lara hatte gehört, wie die Kugel irgendwo einschlug.
Noch immer tat der Mann keinen Wank.
Lara nahm ihn – immer noch aus sicherer Entfernung – genauer in Augenschein. Hatte er eine Waffe? Lag er vielleicht darauf? Sie zögerte. Sollte sie warten, bis er wieder zu sich kam? Ihre eigene Unentschlossenheit nervte Lara. Sie war doch sonst
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