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Sechselauten

Sechselauten

Titel: Sechselauten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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an ihren Handgelenken spürte.
    »Auf dem Polizeiposten gibt’s Telefone«, sagte der Mann. Da können Sie anrufen.«

7
    I ch bin gestürzt«, sagte Eschenbach.
    »Aha«, sagte der junge Assistenzarzt in der Notaufnahme des Spitals Triemli. Dr. Zweifel stand auf dem blauen Schild über der Brusttasche; und was der Name ankündigte, es fand sich im Gesichtsausdruck des Arztes wieder: eine Mischung, die gleichsam Besorgnis und Unglauben enthielt.
    Trotzdem schwieg Eschenbach. Die Bratpfanne ließ er unerwähnt, und erst recht seine Weigerung, sich von den Sanitätern tragen zu lassen. Aufrecht hatte er die Wohnung verlassen wollen; und es wäre ihm auch gelungen, wenn sich sein Schnürsenkel nicht nach den ersten Stufen verfangen hätte, er so aus dem Gleichgewicht gebracht worden wäre. »Ja, eine steile Treppe hinunter«, murmelte er. Es war Pech im Pech gewesen. Etwas, das man am besten für sich behielt.
    »So, so.« Der Arzt betrachtete Eschenbachs Auge. »So wie Sie aussehen … Also ich sag es Ihnen ganz ehrlich: Wenn Sie eine Frau wären, dann würde ich wohl meinen, dass Ihr Mann sie verprügelt hat. Die sagen dann auch immer, sie sind gestürzt.«
    »Ich weiß.«
    »Gebrochene Nase …« Der Arzt tastete behutsam Eschenbachs Gesicht ab. »Eventuell auch Wangen- und Kieferknochen … geplatzte Augenbraue. Wir werden’s uns genauer ansehen.« Zweifel seufzte. »Solche Stürze gibt’s nicht mal bei der Tour de France.«
    »Und mein Bein«, sagte Eschenbach. »Ich weiß nicht … vielleicht kann ich mich irgendwo hinlegen.«
    Nase und Fuß waren gebrochen. Zu der Platzwunde oberhalb des Auges kamen ein paar Prellungen, außerdem hatte er eine Gehirnerschütterung. Eschenbach lauschte am nächsten Morgen gereizt der Aufzählung der Stationsärztin Dr. Häberli.
    »Dann kann ich ja gehen«, sagte der Kommissar.
    »Gehen …« Dr. Häberli deutete auf den Gipsfuß. »Sie werden Krücken brauchen, sechs Wochen lang.«
    »Ich meine, aus dem Spital … nach Hause.« Eschenbach blinzelte. Der Pflasterverband im Gesicht juckte.
    »Zwei, drei Tage Hierbleiben wäre besser.«
    »Ich kann nicht. Ich hasse Krankenhäuser.«
    Dr. Häberli lächelte schwach. »Sie sind alt genug, ich kann Sie nicht anbinden.«
    Der Kommissar nickte.
    In diesem Moment klopfte es an der Tür, und Rosa kam herein. Sie hielt einen Blumenstrauß in der Hand. Als sie die Ärztin sah, zögerte sie: »Störe ich?«
    »Ich bin schon fertig«, sagte die Ärztin.
    »Und ich auch«, meinte Eschenbach. Mit einem leichten Stöhnen setzte er sich auf, dirigierte die Beine über die Bettkante. »Geben Sie mir doch bitte meine Krücken, Frau Mazzoleni.«
    »Aber Sie müssen sich ausruhen«, sagte Rosa.
    »Dummes Zeug.«
    »Vielleicht haben Sie ja mehr Einfluss.« Dr. Häberli mus-
terte Eschenbachs Sekretärin. Und als sie den Jungen entdeck-
te, der sich, so gut es ging, hinter Rosa versteckte, meinte sie: »Oder du, mein Kleiner. Vielleicht hört Papa ja auf dich.« Dann verließ sie mit einem leichten Kopfschütteln das Krankenzim-
mer.
    »So schlimm?« Eschenbach konnte es an Rosas Blick ablesen. »So wie Sie mich anstarren, muss ich schrecklich aussehen.«
    »Nein, nein.« Rosa schüttelte sofort den Kopf. »Es ist nur etwas … Come si dice …«
    Eschenbach wusste, wie viel es brauchte, bis Rosa keine Worte mehr fand. Er versuchte ein Lächeln. »Also doch Frankenstein.«
    Das Klebeband spannte.
    »Ungewohnt …«, sagte sie. »Es ist einfach nur ungewohnt.« Und als wollte sie ihren Ausflug in die Sprachlosigkeit vergessen machen, streckte sie ihm den Blumenstrauß entgegen.
    »Pfingstrosen … ein herrlicher Strauß, vielen Dank!«, sagte der Kommissar. »Frau Mazzoleni, Sie sind ein Engel.«
    Und wieder starrte ihn Rosa an. Ungläubig. Sie rang von neuem um Worte und ließ es dann aber bleiben. Ihre Augen glänzten plötzlich.
    Merkwürdig, dachte Eschenbach. Er hätte schwören können, dass Rosa es nicht bemerken würde, wenn er sich änderte. Doch er hatte sich geirrt. Der Kommissar war auf einmal froh um diese eine, lange Nacht im Triemli, um das, was ihm durch den Kopf gegangen war, als er durch die Gänge geschoben und in Wartezimmern stehengelassen wurde. Nachts schleicht der Tod durch die endlosen Flure der Spitäler. Eschenbach hatte ihn gesehen.
    »Und jetzt hauen wir ab«, sagte er mit einem Augenzwinkern zu dem Kleinen, im Kopf die Liste der Dinge, die er in seinem Leben ändern wollte, und stand auf.
    Eschenbach fühlte

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