Sechselauten
fährt die Karre geradewegs gegen die Wand, wie auf Schienen. Führerlos. Es war zum Verzweifeln.
Der Kommissar roch es sofort. Es war nicht der dezente Geruch seiner Brissagos, der im Zimmer hing. Nein, es stank fürchterlich. Wie nach einem Großbrand.
Und er wusste, dass es eine Zeitlang so bleiben würde. Trotz Rosas Lüftaktionen, und trotz der Duftkerze, die sie ihm hingestellt hatte.
Die rechte Seite seines Schreibtisches war angesengt, und das Brandloch im Teppich sah aus, als hätte ein Meteorit eingeschlagen. Die Decke über dem Pult war rußgeschwärzt, die Wände grau. Der einzige weiße Fleck war dort, wo der Tinguely gehangen hatte. Nur eine Lithographie zwar – dafür mit Widmung.
»Das Bild war ja hinter Glas, es ist ihm nichts passiert.« Rosa stand zerknirscht in der Tür. »Es sieht grässlich aus … aber
die Maler kommen morgen früh, und der Teppich wird ausgewechselt. Alles ist organisiert.«
»Sie sind ein Engel, Frau Mazzoleni.«
Rosa erwiderte nichts. Doch an ihrem Blick konnte der Kommissar erkennen, dass sie glaubte, er würde sich über sie lustig machen.
»Und geben Sie mir noch die Nummer von dieser Frau Doktor Sozialdings … ich möchte mir die Sonnenuntergänge ansehen.«
»Wie Sie wollen.«
»Und was ist eigentlich mit dieser anderen Frau, dieser … ähm, Sie wissen schon.«
»Bischoff«, sagte Rosa.
»Ja, genau … die mir dieses Dings um die Ohren gehauen hat. Wo ist die eigentlich? Und warum kümmert sie sich nicht um den Jungen? Soweit ich gelesen habe, ist sie die Schwester der Toten.«
»Sie wusste nichts von dem Jungen.«
»Ach, ja?«
»Hat sie gesagt.« Rosa seufzte leise. »Steht alles im Protokoll … die Unterlagen, die ich Ihnen hingelegt habe.«
Eschenbach erinnerte sich nur schwach. Er hatte die Mappe gestern mitgenommen. Plötzlich war er sich nicht mehr sicher. »Und dort hat alles dringestanden?«
Rosa nickte. »Sie sollten sich etwas ausruhen, Kommissario. Sie gönnen sich keine Ruhe. Aber das geht so nicht.«
»Und wer kümmert sich um den Fall … Das geht den Bach runter, ich spür’s. Uns läuft die Zeit davon, Frau Mazzoleni. Wir können nicht seelenruhig warten, bis das Zimmer neu tapeziert und Teppiche gelegt … Ich werd sonst noch verrückt.« Eschenbach spürte, wie ihn die Kräfte verließen.
»Aber es ist doch ein Unfall«, seufzte Rosa. »Und den Bericht … also den schreibt der Claudio Jagmetti jetzt … Ich dachte, das wüssten Sie bereits. Kobler hat ihn darum gebeten. Sie hat auch gesagt, sie würde mit Ihnen reden.«
»Ach so.« Eschenbach sank in sich zusammen. Er hatte geglaubt, er würde es packen, am Morgen noch, als er sich die Bartstoppeln aus dem geschundenen Gesicht rasiert hatte – auch noch im Auto. »Ein Unfall«, murmelte er. »Ein Unfall ist es erst dann, wenn ich es sage. Ich bin noch immer der Chef hier … und wir haben einen Zeugen. Solange der Kleine nichts sagt, ist es ein Fall,Frau Mazzoleni. Mein Fall, um ganz genau zu sein – und kein Unfall.« Eschenbach starrte auf die kahlen Wände. Erst noch war er guter Dinge gewesen, und nun das. Die Zuversicht ist eine falsche Schlange, dachte er. Ein Dreckstück.
»Soll ich Ihnen einen Tee machen«, kam es zaghaft von Rosa.
Eschenbach schüttelte den Kopf. »Nein, danke«, sagte er.
Natürlich wusste er, dass er angeschlagen war. Dafür reichte ein Blick in den Spiegel. Dass man ihn hinter seinem Rücken auszählte, hatte er nicht für möglich gehalten.
Er nahm die Krücken, die er neben sich auf den Boden gelegt hatte. Sitzend hielt er sich einen Moment daran fest. Der Schmerz, den er verdrängt hatte, meldete sich zurück und kroch das Bein hoch, in seinem Kopf hämmerte es wieder. Es war alles zu viel. Eine späte Eingebung, Eschenbach merkte es: Er hatte sich überschätzt.
»Warum hat sich eigentlich von Matt noch nicht gemeldet?«
Rosa zuckte die Achseln und verließ sein Büro.
8
Z weimal an diesem Abend hatte Claudio Jagmetti ihn angerufen. Eschenbach erkannte die Nummer auf dem Display, als er mit leichtem Fieber kurz nach Mitternacht aufwachte. Er lag auf seinem Bett, trug noch immer Straßenkleidung. Seit wann schlief er?
Gegen drei Uhr morgens musste er sich übergeben. Der Kommissar nahm die Schmerztabletten, die ihm Dr. Häberli mitgegeben hatte. Kapitulation auf der ganzen Linie, dachte er.
Kurz nach acht riss ihn die Türklingel aus dem Tiefschlaf. Benommen stand Eschenbach auf. Er nahm seine Jeans, fädelte den Gips
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