Sechselauten
der Sache raushalten wollte. Seit dem Sechseläuten hatte er seine Chefin nicht mehr gesehen.
Koblers Büro war ein Eckzimmer, groß und hell. Durch die schräg gestellten Jalousien fiel die Frühlingssonne in milchigen Lagen ein, wie große Leintücher aus Crêpe de Chine zog sich das Licht durch den mächtigen Raum. In der Ecke, die nicht den Fenstern gehörte, stand eine Sitzgruppe von Le Corbusier: kubisch, in mattschwarzem Leder.
Als Eschenbach nach kurzem Klopfen eintrat, erhob sich die Polizeichefin von der Couch, breitete zum Gruß die Arme aus und meinte: »Kommen Sie, mein Lieber. Setzen Sie sich zu uns.«
Ein Mann erhob sich ebenfalls. Er war groß, schlank und hatte, wie es bei großen Menschen häufig der Fall war, eine leicht vornübergebeugte Haltung.
»Das ist Alexander Kronenberger. Er ist Anwalt«, sagte Kobler.
Nachdem der Kommissar beide mit Handschlag begrüßt hatte, setzten sie sich. Eschenbach saß neben seiner Chefin. Für einen kurzen Augenblick sah er in die wässerig-blauen Augen seines Gegenübers. Ein Anwalt.
Dann begann Kobler mit einem sorgsam vorgetragenen Monolog: »Sie fragen sich vielleicht, weshalb Herr Kronenberger hier ist. Nun, er vertritt die Interessen der Familie Bischoff, in diesem Fall jene der Verstorbenen Charlotte Bischoff und ihrer Schwester Lara Bischoff. Mit der Zweiten haben Sie, wenn ich so sagen darf … ein etwas unglückliches Rencontre erlebt, in Wädenswil. Ich habe das leider erst im Nachhinein vernommen. Reichlich spät, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.«
Eine kurze Pause trat ein.
»Herr Kronenberger arbeitet übrigens auch für die FIFA , bei der die Tote als Sekretärin des Vorstands angestellt war.« Kobler machte einen unglücklichen Eindruck. »Und was die Vorkommnisse beim Sechseläuten betrifft: Es sind Fragen aufgetaucht, die Herr Rechtsanwalt Kronenberger wohl am besten gleich selbst vorbringen wird.«
»Nehmen Sie Wasser?« Das war die erste Frage, die der Anwalt stellte. In einem ruhigen, weichen Bariton.
Eschenbach nickte. Er sah zu, wie Kronenbergers feingliedrige Hand die Karaffe führte, ihm einschenkte und sie behutsam zurück auf das Rauchglas des Couchtisches stellte. Danach nahm der Anwalt ein paar Dokumente aus seiner Aktenmappe und legte sie vor sich auf den Tisch. »Sind Sie Arzt, Herr Eschenbach?«, begann er beinahe beiläufig.
»Ich bin Polizist.«
»Aha. Also kein Arzt.«
»Nein. Aber wenn Sie auf Charlotte Bischoff anspielen«, sagte der Kommissar. »Es war ein Arzt anwesend.«
»Richtig.« Kronenberger nahm eines der Mäppchen, zog ein paar Papierstücke hervor und las: »Doktor med. dent. Krähenbühl.« Er zeigte Eschenbach ein Foto. »Ist er das?«
Der Kommissar erkannte den jungen Mann wieder und nickte.
»Sie wissen, was med. dent. bedeutet?«
»Ein Zahnarzt.« Eschenbach lächelte.
»So ist es in der Tat, Herr Kommissar: ein Zahnarzt.«
Eine Weile schwiegen beide. Eschenbach sah in das gleichmäßige Gesicht Kronenbergers. Es war gepflegt und gebräunt, mit hohen Wangenknochen und einer schönen Nase. Zweifellos war der Anwalt ein gutaussehender Mann, dessen Alter schwer zu schätzen war. Anfang sechzig vielleicht, dachte Eschenbach.
»Ich lese Ihnen nun einige Stellen aus dem Protokoll vor. So zum Beispiel die Aussage von Doktor med. dent. Krähenbühl.« Kronenberger nahm das Papierstück. »Ich war froh, als endlich jemand kam, der sich in solchen Fällen besser auskennt als ich …«
»Das ist doch Blödsinn«, unterbrach ihn Eschenbach.
Kronenberger sah zu Kobler.
»Lassen Sie den Rechtsanwalt bitte ausreden.«
»Danke«, sagte Kronenberger und fuhr fort. »Offenbar haben Sie auf den Zahnarzt einen sehr kompetenten Eindruck gemacht. Jedenfalls gibt er weiter zu Protokoll – ich zitiere: Ich habe Herrn Eschenbach gefragt, ob er wisse, wie eine Herzmassage geht. Er hat dies eindeutig bejaht. Und als er sich auf die Frau draufsetzte und damit anfing, da musste ich davon ausgehen, dass Herr Eschenbach ein fachkundiger Arzt ist.«
»Es gibt eine Pflicht, Erste Hilfe zu leisten«, sagte Eschenbach.
Der Anwalt hob seinen Blick. »Richtig, Herr Kommissar. Die gibt es allerdings. Und ich kann nur hoffen, dass Sie die Pflichtkurse, die regelmäßig für Polizeiangehörige angeboten werden, auch besucht haben.«
»Mehr oder weniger.«
Kronenberger sah wieder zu Kobler.
»Machen Sie weiter«, forderte die Polizeichefin ihn auf.
Der Anwalt schob ein Blatt Papier über den Tisch zu
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