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Sechselauten

Sechselauten

Titel: Sechselauten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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den Stau sah.
    Rosa machte eine Vollbremsung.
    Sie standen kurz nach Amsteg. Mühsam ging es im Schritttempo weiter, und etwas später, mit Blick auf das Kirchlein von Wassen, steckten sie mitten in einer Blechlawine.
    »Wir wissen ja, wie unsere Chefin ist«, fuhr Rosa fort. »Aber die Kollreuter hat gemeint, nun sei es wirklich eine Katastrophe. Nichts ist mehr recht, was sie tut … und immer meckert die Kobler an ihr rum.«
    »Vielleicht setzt dieser Anwalt sie tatsächlich unter Druck«, meinte der Kommissar. »Was denken Sie, Frau Mazzoleni? Vielleicht ist da noch etwas, das überhaupt nichts mit mir zu tun hat. Und die fechten ein Sträußchen aus, ganz oben.«
    Rosa wagte einen kurzen Blick zur Seite. Dann zuckte sie mit den Schultern. Und wieder dem Verkehr zugewandt, sagte sie: »Das kann jetzt aber Stunden dauern.«
    Eschenbach drehte am Radio. »Vermutlich wieder ein Unfall im Gotthardtunnel«, grummelte er.
    »Acht Kilometer Stau am Nordportal«, meldete der Verkehrsfunk.
    »Das kriegen wir schon hin.« Der Kommissar drehte sich nach hinten und wühlte in einer Tasche auf dem Rücksitz. »Da ist doch ein Blaulicht irgendwo.«
    Kurz darauf zirkelte Eschenbach eine Lampe mit Magnetfuß zum Fenster hinaus aufs Dach. »Das habe ich schon lange nicht mehr gemacht. Hoffentlich funktioniert’s.«
    Das Licht begann sich zu drehen, und die Sirene heulte.
    »Dann ab durch die Mitte«, sagte er.
    Vor ihnen wichen die Fahrzeuge langsam nach rechts und nach links aus. Rosa steuerte den Wagen mit ausdrucksloser Miene durch die geteilte Blechflut in südlicher Richtung.
    Erst als sie schon fast durch den Gotthardtunnel hindurch waren (ein ukrainischer Tanklastzug hatte tatsächlich ein Rad verloren, wie die Kollegen sagten; aber die Unfallstelle war bereits wieder geräumt), da fiel Eschenbach auf, dass seine Sekretärin noch immer die Sonnenbrille aufhatte. Sie lachte, als er sie darauf aufmerksam machte – und setzte sie ab.
    Luigi Gaffuri von der Stazione di polizia cantonale in Chiasso stand Rosa in nichts nach, nur klang er wie ein Maschinengewehr. Er war klein und schwarzhaarig, trug einen schmalen Oberlippenbart, und auf den dunkelblauen Schulterpatten glänzten die zwei Streifen eines Oberleutnants. Wenn Gaffuri Luft holen musste, redete Rosa für ihn weiter. Es war wie in der
Oper.
    Eschenbach stand daneben. »Il bambino« hatte er verstanden und »inferno« – vom Rest nicht die Hälfte. Schon bald gab er es auf, aus den italienischen Bruchstücken, die sich ihm erschlossen, einen Zusammenhang zu zimmern.
    »Am Wochenende ist hier die Hölle los«, übersetzte Rosa zwischendurch einen Satz. »Es ist purer Zufall, dass sie den Jungen entdeckt haben.«
    »Und wo ist er?«, fragte Eschenbach.
    Aber Gaffuri hatte schon den nächsten Wortschwall gestartet. Rosa warf ein »Sì, sì« ein und wartete ungeduldig, bis sie wieder an der Reihe war. Beide gestikulierten und lachten erleichtert und hörten selbst dann nicht auf, als Gaffuri seine Besucher aus der Stazione hinaus in ein benachbartes Bürogebäude führte.
    Der junge Sergente hinter dem Computer lächelte zufrieden. Rosa hatte ihm in druckreifen Sätzen diktiert, was ins Protokoll gehörte. Er las es ihr noch einmal vor.
    »Perfetto!« Rosa hob den Daumen, und nachdem die Papiere ausgedruckt waren, unterschrieb der Kommissar alles, was man ihm unter den Füller hielt.
    Gaffuri, der sich zuvor entschuldigt hatte, kam mit dem Elan eines Feldherrn zurück; gemeinsam gingen sie zu den Arrestzellen.
    Die Zellentür quietschte, als Gaffuri sie öffnete, und Eschenbachs Blick fiel auf zwei ältere Leute, die wie geprügelte Hunde auf einer Pritsche hockten.
    »Das sind sie«, sagte Gaffuri.
    »Und der Kleine?«, fragte Eschenbach.
    Bevor Gaffuri antworten konnte, kam unter dem Bettgestell ein kleiner Wuschelkopf hervor. Skeptisch, wie jemand, der sein ganzes Leben nur angelogen worden war, lugte der Junge zum Zellenausgang. Dann verkroch er sich wieder unter dem Bett. Eschenbach und Rosa hatte er keines Blicks gewürdigt.
    Das alte Ehepaar hatte sich in der Zwischenzeit erhoben. Sie sahen nicht mehr so bedrückt aus und wagten ein paar Schritte in Eschenbachs Richtung. Der Kommissar tat es ihnen gleich, streckte seine Hand aus und sagte seinen Namen.
    Für die Fahrt zurück nach Zürich hatten sie sich aufgeteilt. Rosa nahm Eschenbachs Wagen und den Kleinen, der langsam auftaute, während der Kommissar mit den Leuten mitfuhr, im Fond eines nagelneuen

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