Sechselauten
blockierte. »Ich wohne in der sogenannten Fanzone. Kein Vergnügen, kann ich dir sagen. Und ich werde ausziehen, wenn’s so weit ist. Das garantiere ich dir.«
Einen Moment schwiegen beide. Eschenbach stand auf, ging ein paar Schritte: »Du darfst da jetzt nicht lockerlassen, Claudio. Geh nochmals zu den Koleggers. Mach Druck bei den Leuten. Lass sie ins Präsidium kommen. Urkundenfälschung, das ist kein Pappenstiel. Vielleicht müssen wir’s dort jetzt auf die harte Tour probieren.«
»Hab ich ja. Aber wie gesagt, die sagen keinen Ton. Haben jetzt auch einen Anwalt, stell dir vor. Einen Dr. Waser, vom Büro Kronenberger & Graf .«
»Natürlich!«, stieß Eschenbach aus. »Graf. Sandro Graf, von dem haben die Koleggers gesprochen. Und stell dir vor, der
ist auch bei der FIFA . Wie Kronenberger. Langsam frage ich
mich wirklich, was hier abläuft. Wir sollten uns einen Durchsuchungsbefehl beschaffen und uns den Laden einmal ansehen. Die Leute befragen, die mit Charlotte zusammengearbeitet haben. Das ganze Programm.«
»Aber wir haben doch überhaupt keinen Hinweis, dass es ein Verbrechen war«, sagte Claudio zögerlich. »Die lachen sich tot bei der Staatsanwaltschaft, wenn wir mit so etwas kommen.«
Der Kommissar sagte: »Ja – ja – ja.« Er wusste, dass der Bündner recht hatte. Auch mit ›Mulo, mulo‹ und ein paar weiteren Sätzen eines verstörten Jungen kämen sie nicht einmal in die Nähe von Verdachtsmomenten, die ein solches Vorgehen rechtfertigen würden. »Ich hab’s ja auch nicht ernst gemeint. Du machst das schon richtig, Claudio.«
Nachdem Jagmetti Eschenbach versichert hatte, dass er ihn auf dem Laufenden halten würde, beendeten sie das Gespräch.
Mit den Strahlen einer noch milden Frühjahrssonne im Gesicht überquerte Eschenbach die Brücke beim Rathaus, stieg in den Vierer und fuhr zwei Stationen bis zum Central. Dort nahm er ein Taxi.
Eine halbe Stunde später saß der Kommissar in Salvisbergs unaufgeräumtem Büro im Institut für Rechtsmedizin an der Winterthurerstrasse 190 .
»Wir wissen auch nicht, wo er ist«, sagte Frau Käppeli, die Sekretärin des Gerichtspathologen. Die kleine, mollige Frau mit adretter Föhnfrisur war neu im Institut, und sie war die dritte neue Sekretärin innerhalb eines Jahres. Während Eschenbach wartete, kam sie in regelmäßigen Abständen ins Büro und wiederholte den Satz: »Wenn Sie vorher anrufen, können wir es besser timen … dann verschwenden Sie keine Zeit.«
»Ich habe elend viel Zeit«, sagte Eschenbach. Er saß am kleinen Besuchertisch in der Ecke. Überall lagen Zeitschriften, Bücher und stapelweise Papier. »Und genügend zum Lesen habe ich auch.«
»Es ist furchtbar«, sagte Frau Käppeli, und in ihrem rundlichen Gesicht erschienen ein paar Sorgenfalten, die sofort wieder verschwanden. Eschenbach schätzte sie auf Ende vierzig.
»Ich würd ja am liebsten aufräumen …«
»Nur das nicht«, unterbrach er sie. »Das war schon der Fehler ihrer Vorgängerinnen. Lassen Sie alles, wie es ist.«
»Sie kennen den Professor schon lange?«
»Ewig.«
»Alles einfach liegenlassen, das sagen hier alle«, murmelte sie. »Aber ganz einfach ist das nicht.« Sie wandte sich zur Tür, etwas enttäuscht darüber, dass Eschenbach ihr auch keinen anderen Ratschlag hatte geben können.
Die Abteilung für forensische Medizin, die Salvisberg leitete, beschäftigte fünf Fach- und ebenso viele Assistenzärzte. Dazu kamen fünf Sekretärinnen und eine Handvoll technisches Personal. Das kleine Team brachte es jährlich auf knapp 700 Obduktionen. Und das war nur ein Teil ihrer Arbeit.
»Stell dir vor«, keuchte Salvisberg, als er endlich erschien. »Ich hab mit dem Rauchen aufgehört.« Es war die Erklärung für mindestens fünf Kilo mehr, die der Pathologe mit sich herumtrug, seit ihn der Kommissar das letzte Mal gesehen hatte. »Vor zwei Wochen«, fügte Salvisberg noch hinzu, bevor der obligate Hustenanfall folgte.
»Und fühlst du dich besser?«
»Bist du jetzt der Zyniker oder was?« Salvisberg musterte Eschenbachs Nase, seinen Gipsfuß und die Krücken. Schließlich ließ er sich in seinen Drehstuhl fallen: »Es ist ein völliger Witz, dich für den Tod der Frau verantwortlich zu machen. Das weißt du, oder?«
»Ich habe ausgiebig darüber gelacht.«
»War nicht so gemeint. Du kommst wegen der Frau, nehme ich an.«
Eschenbach nickte.
»Als Zivilist, nehme ich an.«
»Du hast es gelesen?«
Salvisberg nickte. »Es war nicht zu
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