Sechselauten
in der Zeitung gelesen. Bei dieser Gelegenheit kannst du mir ja erzählen, wie’s wirklich gewesen war.« Vermutlich wollte sie ihn aufheitern.
Nachdem er zu Hause geduscht und sich ein neues Hemd übergezogen hatte, setzte sich Eschenbach an den Computer.
Er fand nichts Brauchbares, als er bei Google den Namen Lara Bischoff eingab. Die Lady mit Haltung fand sich dort nicht, und das war ungewöhnlich. Dass es nicht an der Suchmaschine lag, zeigten die dreihundert Einträge, die ihm entgegensprangen, als er seinen eigenen Namen eintippte. Auf der Homepage von 20 minuten.ch konnten die Leser abstimmen, ob er als Kripochefnun definitiv vom Dienst zurücktreten sollte. Es stand 48 : 52 zu seinen Gunsten. Mit einem Kopfschütteln drehte er der Kiste den Strom ab, nahm das Telefon und humpelte zur Couch. Dann wählte er die Nummer von Ewald Lenz.
Lenz ging sofort ans Telefon und wurde hellhörig, als ihm Eschenbach kurz die Situation schilderte.
»Keinen einzigen Eintrag? Nicht schlecht für eine Person, die laut Forbes zu den fünfzig wichtigsten Leuten der City gehört. Die einen wollen ums Verrecken gefunden werden, die andern eben nicht. Und mit entsprechend viel Barem lässt sich das einrichten.«
Eschenbach überlegte, wie viel Bares er benötigen würde.
»Eigentlich habe ich gedacht, du kommst mal vorbei … für eine Partie Schach, bei mir in der Mühle.«
»Ich spiel kein Schach.« Eschenbach lachte. »Nicht gegen dich, das weißt du.«
»Jetzt hast du doch Zeit, wie ich höre. Es hat sich einiges getan, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, nicht nur bei dir. Heißt die Kleine noch immer Juliet?«
»Hast du das auch irgendwo gelesen?«
»Unsinn!« Lenz lachte ebenfalls. »Du hattest es mir selbst erzählt. Aber was in den Zeitungen darüber geschrieben wurde, war auch nicht uninteressant.«
»Behalt’s für dich«, sagte Eschenbach rasch, bevor Lenz einen Satz zum Besten geben konnte. »Ich gehe zu Corina. Sie hat mich eingeladen.«
»Ach so.«
»Ich könnte morgen um die Mittagszeit zu dir kommen. Ich meine, wenn’s dir passt. Schau doch mal, ob du was findest, bis dahin.«
»Mir passt’s immer.«
»Dann bis morgen also.« Eschenbach legte auf. Er hatte den Alten schon eine Weile nicht mehr gesehen und fragte sich, ob es ihm wirklich gutging, so allein auf sich gestellt. Es war einer seiner Vorsätze fürs neue Jahr gewesen; einmal bei Lenz vorbeizuschauen, ohne etwas von ihm zu wollen. Aber dafür war es jetzt zu spät.
»Wenn du was brauchst, dann geh zum Lenz«, hatte Eschenbachs Vorgänger Toni Stalder bei der Kommandoübergabe gesagt, als sie die Personalliste durchgegangen waren. »Arbeitet bei uns im Archiv. Könnte Hochschulprofessor sein … Ist wie ein Ferrari, der Lenz. Wenn alles gut eingestellt ist, dann gibt’s nichts Besseres.«
Ein Spruch. Mehr nicht. Jedenfalls hatte Eschenbach nicht darüber nachgedacht.
Als er sich Monate später zum ersten Mal um das Phänomen Lenz kümmern musste, war es beinahe zu spät gewesen. Um ein Haar hätte sich der Ferrari selbst zu Schrott gefahren.
Direkt vom Archiv hatte man Lenz in die Klinik Hirslanden gebracht, mit 2 , 5 Promille Alkohol im Blut. Eschenbach war sofort hingefahren. Allerdings war es das letzte Mal gewesen, dass sich Lenz unkontrolliert in diesen Zustand gesoffen hatte. Und der Kommissar hatte bald herausgefunden, dass Alkohol nicht Lenzens eigentliches Problem war.
Die Leidenschaft von Ewald Lenz waren Informationen. Kein tragischer Umstand an sich, nur bei Lenz war es anders: Während der gesunde Mensch das meiste, das er wahrnahm, sah, las oder hörte, irgendwann wieder vergaß, blieb es in Lenzens Gehirn eingebrannt wie auf einer Festplatte. »Die Natur hat mich um die Gunst des Vergessens beschissen«, hatte ihm der Alte damals in der Hirslanden-Klinik erklärt, als er wieder nüchtern war. Dass er sich drei- bis viermal jährlich in eine Ohnmacht saufe, sei seine Flucht ins Leere; ohne anhaltende Wirkung allerdings. Denn alles käme wieder, wie Mücken nach einem Sturm.
Eschenbach dachte noch eine Weile über seinen Freund Lenz nach, denn Freunde, das waren sie mit der Zeit geworden. Sonderbar eigentlich, dass es das Gerücht, er habe jahrelangeinen alkoholkranken Spinner im Archiv beschäftigt, nicht bis in die Zeitungen geschafft hatte.
Bei Corina zu Hause sah es aus wie an Weihnachten, fand Eschenbach, als er die kleine Wohnung betrat. Auf dem festlich gedeckten Tisch stand ein großer
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