Sechselauten
Eschenbach schmunzelte: »Hochverrat, der Stoff der klassischen Dramen. Ganze Opern konnte man dran aufhängen.«
»Nur heut ist’s die Regel. Verpfeifen, verpetzen … der Verrat ist salonfähig geworden. Jeder nützt ihn für seine Zwecke. Noch vor zehn Jahren war es unvorstellbar, dass der höchste Offizier der Schweizer Armee von seinen Kollegen zu Fall gebracht wird.Durch eine Indiskretion, die übrigens nicht die Landesverteidigung, sondern was ganz Privates betrifft.«
»Wenn’s schlimm genug ist?«, meinte Claudio.
»Jeder hat irgendwo ein kleines Stück Dreck am Stecken«, fuhr Lenz unbeirrt fort. »Wenn einer was leistet, ambitioniert an einer Karriere bastelt, dann tritt er irgendwann in ein Stück Scheiße, da kann er aufpassen, wie er will. Und die Träger
dieser Information finden sich immer im unmittelbaren Umfeld.«
Eschenbach dachte daran, wie ihn die Presse durch den Dreck gezogen hatte. »Und wenn nichts vorliegt?«, fragte er.
Jagmetti schaute ihn an.
»Nichts ist immer relativ«, meinte Lenz. »Wir machen alle Fehler, irgendwann. Und der Rest ist Inszenierung.«
»Die Medien eben«, seufzte der Kommissar.
»Nein, Lenz könnte recht haben. Nicht nur die Medien. Auch intern«, sagte Jagmetti.
»Die Medien kolportieren nur, was gefunden werden kann. Manchmal muss man es ihnen richtig aufs Auge drücken, dass sie’s sehen.« Lenz sog an seiner Pfeife, und weil sie ausgegangen war, legte er sie auf den Tisch. »Und wenn das Thema einmal gesetzt ist, dann kommt der ganze Rest der Truppe und schreibt es ab. Nicht mal für einen Gegencheck reicht die Zeit in den Redaktionen. Höchstenfalls ein Querverweis zur Konkurrenz, die’s schon gebracht hat.«
Eschenbach wusste, wovon Lenz sprach. Und alles in ihm sträubte sich, an diese Zeit zurückzudenken.
»Und dann …« Lenz lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Wenn die ganzen Journalisten erst mal draufgesprungen sind … dann rollt’s wie ein D-Zug und überfährt alles, was man vorher aufs Gleis gebunden hat. Einfach kalkulierbar und effektiv. Die Medien sind die Henker, nicht die Richter.«
»Und wer urteilt und richtet deiner Ansicht nach? Ich kenne kaum ein Spiel, in dem es keinen Schiedsrichter gibt.«
»Stell dir ein Schachbrett mit Figuren vor: Bauern, Läufer, Springer, Damen, Türme … und alle haben eine andere Farbe.«
»Und Könige?«, warf Jagmetti ein. »Die wichtigste Figur haben Sie vergessen.«
»Ich weiß«, sagte Lenz und grinste. »Das ist ja gerade der Clou. Die Armee kämpft gegen die eigenen Leute. Der Politiker gegen den Kollegen in seiner Partei … die Mutter gegen den Vater und die Kinder gegen sich selbst. Im Spiel alle gegen alle gibt’s keine Könige.«
»Schönes Spiel«, sagte Jagmetti. »Und was ist das Ziel?«
»Jeder hat ein anderes.«
Einer der Gärtner stand plötzlich da und räusperte sich. Als Lenz ihm kurz zunickte, sagte er: »Der alte Kirschbaum … Sie haben gesagt, wir sollen es versuchen. Ich bin mir nicht sicher, ob er es schafft.«
»Er muss«, sagte Lenz.
»Hoffen wir das Beste.« Der Mann blickte kurz in die Richtung, aus der er gekommen war. »Die anderen Bäume sind übrigens okay. Und die Buchenhecke, die ziehen wir jetzt weiter hinunter bis zur Grenze, ist das richtig?«
»Ganz genau«, erwiderte Lenz.
»Ist auch viel schöner so.«
»Eben.«
Nachdem er sich abermals für die Störung entschuldigt hatte, ging der Gärtner wieder.
»Bist du neuerdings für den Garten zuständig?«, fragte Eschenbach.
Lenz schwieg einen Moment, dann nickte er. »Ja, der Garten und die Mühle … Ist ein schöner Ort hier oben. Ich kümmere mich ein wenig darum.«
Das Gesicht von Ewald Lenz verfinsterte sich, und in seinen wässrig-blauen Äuglein lag ein Ausdruck, den der Kommissar nicht richtig zu deuten wusste. Nahm ihm der Alte übel, dass er ihn frühzeitig in Pension geschickt hatte? War es das? Eschenbach überlegte, ob er ihn später einmal darauf ansprechen sollte, wenn Jagmetti nicht dabei war.
Nachdem sie mit dem Nachtisch fertig waren, stand Lenz auf, ging in sein Arbeitszimmer und kam kurz darauf mit einer Plastikhülle in der Hand zurück. »Lara Bischoff«, sagte er. »Danach hattest du doch gefragt.«
»Allerdings«, sagte Eschenbach und schielte gespannt auf das Mäppchen. »Und wieso finde ich bei Google nichts über die Dame. Kannst du mir das bitte erklären?«
»Ein andermal«, sagte Lenz.
»Bei mir sind’s ein paar hundert Einträge. Ich
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