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Sechselauten

Sechselauten

Titel: Sechselauten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Theurillat
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Er deutete auf eines der Zeitungsbilder: Das Foto zeigte eine junge Frau auf einem Pferd, im Sprung über einen Wassergraben. »Vielleicht solltest du mit ihr reden.«
    »Wenn du mir eine Audienz verschaffst«, lachte der Kommissar.
    Lenzens Schnauzbart zuckte. »Im Moment ist sie angeschlagen, das ist gut …« Und mit einem nachdenklichen Kopfnicken fügte der Alte noch hinzu: »Vielleicht lässt sich da etwas machen. Aber einfach wird’s bestimmt nicht.«
    Wie schon zahlreiche Male zuvor versuchte sich Eschenbach an diese Frau zu erinnern. Es gelang ihm nicht. Es war ein fehlendes Puzzleteil in seinem Kopf, und er hatte sich damit ebenso abgefunden wie mit seiner lädierten Nase und dem Gipsfuß. »Okay«, sagte er schließlich. »Wenn sich was machen lässt, ich bin dabei.«
    »Sie wird abgeschirmt … Müssen uns was einfallen lassen.«
    »Hat sie noch Familie?«, wollte Jagmetti wissen.
    »Nein, sie ist Vollwaise. Ihre Eltern sind vor etwa zehn Jahren in den Walliser Alpen verunglückt. Es gibt einige Artikel dazu. Eine dubiose Geschichte.«
    »Und Männer … Ich meine, ist sie verheiratet oder so?« Es war wieder Jagmetti, der die Frage stellte.
    »Scheinbar nichts, außer Shakespeare.«
    Eschenbach runzelte die Stirn. Und wieder schob der Alte ein Blatt Papier zu ihm herüber.
    »Ein Interview im Time Magazine  … Es war ihre Antwort auf diese Frage. Du kannst es selbst lesen.«
    Auch Claudio schielte auf den Artikel. Diesmal war eine Porträtaufnahme dabei.
    Eschenbach sah das Gesicht einer schönen Frau. Das pechschwarze, gewellte Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und ein etwas süffisantes Lächeln unterstrich die aristokratischen Gesichtszüge. British Military Enters Finance Industry lautete die Überschrift.
    Nachdem Lenz den ganzen Papierkram zu einem Stapel zusammengeschoben, wieder in die Plastikhülle gesteckt und sie Eschenbach überreicht hatte, schüttelte Jagmetti den Kopf: »Wo haben Sie das alles nur her?«, fragte der Bündner.
    »Die Frage kannst du dir sparen«, sagte Eschenbach. Denn der Alte war ihm die Antwort stets schuldig geblieben, auch als er noch für die Kriminalpolizei gearbeitet hatte.
    »Ich schau mal nach dem Garten«, sagte Lenz. »Wenn ihr wollt, könnt ihr mitkommen.«
    »Ich würde ja gerne«, sagte Jagmetti, schaute auf seine Uhr und entschuldigte sich. Nur Eschenbach blieb. Der Kommissar wollte sich den Seerosenteich nicht entgehen lassen.
    Es war kurz nach fünf, als Eschenbach beim Bellevue seine Krücken sortierte und aus dem kleinen Lieferwagen ausstieg. Er bedankte sich bei den beiden Gärtnern, die ihn von der Mühle hinunter in die Stadt gefahren hatten.
    In seinem Kopf wimmelte es von Gedanken, die zwischen den Vorkommnissen beim Sechseläuten und seinem Freund Lenz hin- und herpendelten. Was der Alte abgeliefert hatte, war nicht die Arbeit eines Pensionisten. Im Gegenteil, es war hochprofessionell, und es gab eine Menge Leute, die für eine solche Dienstleistung einen Haufen Geld bezahlt hätten.
    Eschenbach & Lenz  – vielleicht sollte er kündigen und sich mit dem Alten zusammentun, dachte der Kommissar, während er sich auf seinen Krücken gemütlich den Limmatquai hinunterschwang. Bei der Rathausbrücke wurde er langsamer, und als er endlich seine Wohnung erreichte, klebte sein Hemd schweißnass am Körper, und in den Oberarmen brannte Feuer.
    Angeregt durch den Besuch bei Lenz, stürzte sich Eschenbach, nachdem er geduscht hatte, noch einmal ins Internet. Mit Hilfe der Stichworte: FIFA , Jenische, Rotwelsch, Bischoff, Kronenberger versuchte er sich einen Reim auf die losen Enden des Falls zu machen.
    Die Homepage der FIFA war ein Irrgarten. Auf dem Organigramm des Vereins (tatsächlich war die FIFA ein Verein schweizerischen Rechts) fand Eschenbach Kronenberger. Ein Lebenslauf des Anwalts fehlte. Stattdessen las der Kommissar die Vita des Präsidenten und danach die Namen der Exekutivmitglieder durch. Und weil das alles nichts brachte, sah er sich die Rubrik Klassiker des Weltfußballs an und verlor sich völlig in der Vergangenheit: Paolo Rossi, Manoel dos Santos genannt »Garrincha«, Dino Zoff, Bobby Charlton, Pelé, Johann Cruyff, Franz Beckenbauer, Diego Maradona, Eusebio, Fritz Walter  … Nach den Spielern nahm er sich die Trainer vor: Mário Zagallo, Sepp Herberger, Vittorio Pozzo  … Bei César Luis Menotti angelangt, steckte er sich eine Brissago in den Mund und zündete sie an. Irgendwie war der Fußball früher

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